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Gerechtigkeit im Preisgalopp

Nach dem Verbot des Bundesverfassungsgerichts für den Berliner Mietendeckel fordern auch evangelische Immobilienexperten endlich faire Bedingungen für bezahlbaren Wohnraum in Deutschland

Mietendeckel Kirche
Demonstration für bezahlbaren Wohnraum in Berlin. Foto: Christian Ditsch/epd

Von Uli Schulte Döinghaus

„Mietendeckel in Berlin? Verfassungswidrig!“: Nur sieben Stunden nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts fanden sich rund 10.000 Demonstrierende in Berlin zusammen, um gegen diese höchstrichterliche Entscheidung zu protestieren. Wenn es um bezahlbaren Wohnraum geht, dann bringen die Mieterinitiativen beträchtliche Demonstrantenzahlen auf die Straße. Die Wohnungsfrage bewegt (fast) alle in der Metropole. 

Inzwischen gelten Neubaumieten bis weit in die Mittelschicht hinein als nicht mehr bezahlbar, klagt das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“, zu dem auch die katholische Caritas gehört. Man befürchtet eine weitere Ausgrenzung von Menschen, die schon bei entspannten Wohnungsmärkten Probleme bei der Wohnungssuche haben, etwa Alleinerziehende, Menschen mit Behinderung, Zugewanderte oder auch ehemalige Strafgefangene. Maria Loheide, die sozialpolitische Vorständin der Diakonie Deutschland, fordert: „Die nächste Regierungskoalition muss die galoppierenden Preise endlich einfangen.“ 

Die Exzesse im Wohnungsmarkt nehmen unmoralische und unchristliche Züge an. Schon verbinden Theologen Schieflagen mit existenziellen Fragen nach Gerechtigkeit. Torsten Meireis etwa, Theologie­professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, forscht darüber, ob ein moralisches Recht auf urbanen Wohnraum begründbar ist. Die Theologen Robert Plum und Albert Gerhards gehen in einem aktuellen Aufsatz auf eine Theologie des Wohnens ein. Und in der EKD-Schrift „Ein Ort zum Leben – Menschenrechte und Wohnen“ heißt es: „Wohnen ist nicht nur ein Mietrecht, sondern Menschenrecht.“

Taugen staatliche Höchstmieten fürs Gemeinwohl? Evangelische Immobilienexperten zweifeln. Vom Mietendeckel, der nur 15 Monate währte, sei die evangelische und gemeinnützige Hilfswerk-Siedlung GmbH (HWS) mit 21 Wirtschaftseinheiten beziehungsweise 3013 Wohnungen betroffen gewesen, heißt es im jüngsten Jahresbericht des Immobilienunternehmens der EKBO.  „Wir waren bis zum Schluss gegen die Einführung des Mietendeckels, denn dieser sorgt dafür, dass Investitionen in Neubau, Modernisierungen und Sanierungen im Mietwohnungsbau zurückgehen beziehungsweise im schlimmsten Fall zum Erliegen kommen“, so HWS-Geschäftsführer Jörn von der Lieth. 

Kotti eV., eine Informationsplattform rund um das Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg, listet rund 70 Mieter- und Stadtteilinitiativen auf, die sich in ihren jeweiligen Quartieren um die Interessen von Mietern bemühen. Sie werden bisweilen von Kirchengemeinden unterstützt, und sei es, dass sie Gemeinderäume mitbenutzen dürfen oder in Gemeindebriefen erwähnt werden.

Probates Mittel Enteignung? 

Am bekanntesten ist zurzeit die Initiative „Deutsche Wohnen enteignen“, die Unterschriften für ein Volksbegehren sammelt. Alle Wohnungsunternehmen, die mehr als 3000 Wohneinheiten vermieten, sollen in Gemeineigentum überführt werden, um weitere Mieterhöhungen abzuwehren oder Umwand­lungen in Eigentumswohnungen zu verhindern. „Überführung in Gemeineigentum“, „Enteignung“ hört sich wohlmeinend an – könnte aber teuer werden, weil sie nicht entschädigungslos zu haben sind. Manche rechnen mit Übernahmekosten um die 40 Milliarden Euro an Steuergeldern, damit Firmen wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Akelius, die auf dem Berliner Immobilienmarkt aktiv sind, verstaatlicht werden können.

Auch dafür protestierten Menschen am vorvergangenen Donnerstagabend, die zumeist jung waren. Das kann ein Zufall sein, ist aber symptomatisch. Denn junge Erwachsene sind der demografische Grund dafür, dass Berlin wächst und Wohnraum nachgefragt wird. Vornehmlich 18 bis 30-Jährige ziehen hierher, Studierende, Auszubildende, „young professionals und zum Teil auch junge Familie mit kleinen Kindern“, konstatiert die Investitionsbank Berlin (IBB) in ihrem jüngsten Wohnraumreport. Die 30- bis 45-Jährigen dagegen trügen kaum noch zum Bevölkerungswachstum der Stadt bei und bei allen Altersgruppen über 45 Jahren gebe es Abwanderungs­verluste, so die öffentliche Bank.

Stadtflucht, Landflucht

Junge Menschen zieht es in die Stadt der Singles, in der es für sie zurzeit kaum bezahlbaren Wohnraum gibt. Neu zu vermietende, freifinanzierte Wohnungen um die 11 Euro, wie sie zum Beispiel die evangelische Hilfswerksiedlung Berlin aktuell in geringer Zahl annonciert, sind selten, wenn nicht illusorisch. Die Ausnahme „Wohngemeinschaft“ (WG) ist deshalb für viele junge Mieter zur Regel geworden, aber:  „Beim Kampf um die knappe Ressource Wohnraum könnten Familien unterliegen; eine Studenten-WG mag sich die Vier-Zimmer-Wohnung noch leisten können, eine Familie nur schwer“, warnten die beamteten Bau- und Immobilienfachleute Robert Kaltenbrunner und Matthias Walters­bacher schon vor sieben Jahren. 

Stadtflucht, Wohnraumnachfrage und Mietexplosion haben dazu geführt, dass es auch in 19 Gemeinden im Berliner Speckgürtel eine behördliche Mietpreisbegrenzung gibt, wo die Mieten innerhalb von drei Jahren „nur“ um 15 Prozent angehoben werden dürfen. Jenseits des Speckgürtels gibt sich der Immobilienmarkt auf trügerische Weise entspannt. Während im Berliner Umland der Wohnungs-Leerstand 2019 bei 2,3 Prozent lag, betrug er im weiteren Metropolenraum 10,4 Prozent. Leerstand geht mit Verfall und der Vernichtung wertvollen Wohnraums einher.

Immer mehr Berliner Pendler zieht es nach der Familiengründung mit ihren Kindern aufs Land, vorzugsweise aber in Reichweite zu Berlin. Die einen versuchen, den unbezahlbaren Mieten in der Hauptstadt auszuweichen. Die anderen wollen sich den Traum vom günstigen Leben im Grünen zu erfüllen – vielleicht sogar als Eigentum. Von diesem Zug ins Umland profitieren einige Kirchengemeinden im Speckgürtel, etwa entlang des Teltow­kanals, wo die Zahl der Kirchen­glieder gegen den Trend nicht sinkt, sondern sogar leicht ansteigt.

Aber auch in Brandenburg ist der Immobilienmarkt von steigenden Preisen geprägt. Wer etwa in Potsdam ein freistehendes Ein- oder Zweifamilienhaus erwerben möchte, muss im Durchschnitt 490000 Euro aufbringen. „Zusammen mit meiner Familie spüre ich die Wohnungsnot in Potsdam am eigenen Leib – und merke, dass wir uns auch als Kirche bei diesem Thema engagieren sollten“, bekannte der neue Potsdamer Generalsuperintendent Kristóf Bálint in einem Zeitungsinterview.

Der Grund, neben gestiegenen Baukosten: irre Baulandpreise in und am Rand der Metropolen.  Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg schwollen die Kaufpreise für bau­reifes Land zwischen 2010 und 2019 um mehr als das 150-fache an. Im besonders teuren München müssen im Geschosswohnungsbau 79 Prozent der Kosten für den Erwerb des Baugrunds aufgewendet werden.  Der Bedarf ist da, die Grundstücke nicht. „Neu bauen können wir so gut wie vergessen“, sagt Dennis Beyer vom Evangelischen Immobilien­verband (eid). Das sei viel zu teuer, zumindest in der Stadt.

Wohnen ist keine Ware

Nicht selten sind die Markt­­verwerfungen das Ergebnis von Spekulation. Grund, Boden und Bauland sind attraktive Geldanlagen, die Spekulanten schon mal gerne ungenutzt lassen, weil sie immer weiter steigende Preise verheißen. Ohne irgendein Zutun wächst so der Wert ins Spekulative. „Mehr Gerechtigkeit! Wir brauchen eine neue Bodenordnung – nur dann wird auch Wohnen wieder bezahlbar“, überschrieb der engagierte SPD-Politiker und Christ Hans-Jochen Vogel ein aufrüttelndes Buch, das er 2019 mit 94 Jahren kurz vor seinem Tod veröffentlichte. Sein Vermächtnis: Grund und Boden ist keine beliebige Ware, sondern eine Grundvoraus­setzung menschlicher Existenz. 

Er schlägt einen Mix aus Bodenwertsteuer, Baugebot und Planungswertausgleich zugunsten von Gemeinden vor, die damit sozialen Wohnungsbau und bezahlbare Wohnungen Mietwohnungen planen und bauen können. 

Das Lebensthema des langjährigen Spitzenpolitikers Vogel – Wohnen als eine Frage der sozialen Gerechtigkeit – ist das Geschäfts­modell für genossenschaftliches Bauen und Vermieten, aber auch für kirchliche Bauträger wie die Berliner Hilfswerk-Siedlung. Zu ihren rund 10000 verwalteten Einheiten kommen zurzeit rund 250 neue oder umgebaute Wohnungen, die saniert, fertig oder fast fertig sind. In 

Blankenfelde-Mahlow, vor den Toren Berlins, entstehen aber auch 26 Reihenhäuser. Mietpreis: 10 Euro netto, kalt. Solche Preise können und sollen dämpfend wirken in einem total überhitzten Immobilienmarkt und zugleich dazu beitragen, Normalverdiener mit Wohnraum zu versorgen. Dabei geht es um viel mehr als die Rendite. Evangelische Einrichtungen schaffen Identität, stärken den Zusammenhalt und geben Menschen neue Perspektiven, heißt es im Leitbild des Evan­­­ge­lischen Immobilienverbandes, der gemeinnützige Stiftungen und Wohnungsunternehmen mit 40.000 Wohnungen vertritt. 

Der EKD-Text 136 „Bezahlbar wohnen – Anstöße zur gerechten Gestaltung des Wohnungsmarktes im Spannungsfeld sozialer, ökologischer und ökonomischer Verantwortung“ ist nachzu­lesen unter www.ekd.de/wohnungsmarkt

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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