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„Ich atme mit Ihnen“

Intensivstationen in Deutschland sind ausgelastet. ­Patient*innen ringen um ihr Leben, müssen beatmet ­werden. Wenn die Krankenhausseelsorgerin Gesine ­Bertheau – eingehüllt in Schutzkleidung – an ihren Betten steht, fühlt sie sich manchmal hilflos. Denn Seelsorge lebt von Gestik, Mimik und von Berührungen. Die ­Krankenhausseelsorgerin im Helios Klinikum Emil von ­Behring in Berlin-Zehlendorf, dessen Schwerpunkte ­Lungenerkrankungen und Palliativmedizin sind, erzählt im Interview mit Uli Schulte-Döinghaus über ihre ­Begegnungen mit schwerstkranken Menschen.

Während einer Feier am 28. Oktober dieses Jahres hatten Angehörige, Ärzte, Pfleger und die Krankenhausseelsorgerin Gesine Bertheau (Foto) die Möglichkeit, der zuletzt Verstorbenen der Palliativstation zu gedenken. Für jeden Verstorbenen drückten sie einen Mosaikstein in eine der beiden Kacheln. Foto: Uli Schulte-Döinghaus

Frau Pfarrerin Bertheau, wie müssen wir uns Ihren Alltag vorstellen?

Viele Kilometer zu Fuß. Lange Wege durch Flure, viel Treppensteigen auf drei Etagen. Und viele Gespräche mit Patient:innen, aber auch mit Pflegepersonal und Ärzt:-innen. 

Wie kommt es zu diesen Gesprächen? 

Oft über Angehörige. Gestern zum Beispiel rief mich die Tochter eines Patienten an: „Könnten Sie meinen Vater besuchen? Wir haben den Eindruck, ihm fehlt der Lebensmut.“ Sie und ihre Schwestern, so die Anruferin, leben hunderte Kilometer von Berlin entfernt. Sie können nicht so oft beim Vater sein, wie sie es gern möchten. Gleich, unmittelbar nach ­unserem Interview, werde ich ihren Vater besuchen.

Ihr erster Satz? 

Mein Name ist Gesine Bertheau. Ich bin Seelsorgerin im Krankenhaus und ich möchte mich Ihnen vorstellen. 

Und dann? 

Sehr, sehr selten werde ich abgewiesen. Am häufigsten ist: „Schön, dass Sie kommen.“ Oft gefolgt von: „Aber ich bin gar nicht in der Kirche.“ Dann sage ich: „Das spielt keine Rolle, ich komme Ihretwegen.“ Das ist erleichternd. Daraufhin erfahre ich manchmal auch, was dazu geführt hat, dass Menschen sich von der Kirche abgewendet haben. 

Ich nehme an: Das Wichtigste ist das Zuhören?

Natürlich. Krankheit ist das erste Hauptthema. Dann kommen wir auf das zu sprechen, was sie in ihrem Leben stark gemacht hat, woran sie anknüpfen können. „Sie sind Seelsorgerin? Ach, ist es bei mir so weit?“ Manchmal sind die Patienten geprägt durch Bilder, die sie aus Filmen oder Fernsehspielen kennen. Letzte Ölung, Krankensalbung. 

Wünschen Patienten, von Ihnen gesegnet zu werden? 

Ich erlebe weniger, dass darum gebeten wird, sondern ich biete den Segen an, buchstäblich als ein Geschenk des Himmels. „Muss ich jetzt ­irgendwas machen?“, fragen manche. „Nein, ich lege Ihnen die Hände auf den Kopf und spreche den Segen.“ Sie schließen die Augen, kommen zu innerer Ruhe und Andacht.

Nicht alle sind in Einzel­zimmern. Kann man eine intime Spiritualität erfahren, wenn es unfrei­willige Zuhörer gibt? 

Auf der Palliativstation sind wir in der Regel allein in Einzelzimmern. Wenn nicht, dann kommt es manchmal zu unerwarteten Begegnungen. In der vergangenen Woche war ich bei einer schwerkranken Patientin. Kurz wandte ich mich der Bettnachbarin zu. Sie flüsterte: „Sie betet jeden Abend vorm Einschlafen. Erst habe ich selbst das Vaterunser nicht mehr so richtig gekonnt. Aber jetzt bete ich es immer wieder mit.“ Das sind Augenblicke, wo ich als Seelsorgerin denke: Dieses Krankenhaus kann ein heiliger Raum sein. 

Wann kommen Sie an die Grenze ihrer seelsorgerischen Arbeit?

Das Gefühl von absoluter Hilflosigkeit habe ich immer wieder bei Intensivpatienten, mit denen ich nicht sprechen kann. Sie sind an Beatmungsgeräten angeschlossen. Ich bin fast unkenntlich hinter Schutzkleidung und Maske. Seelsorge lebt nun mal von der Sprache, vom Austausch, von Gesten und Mimik, von Berührungen. Aber es gibt einen Weg, den ich immer wieder gehe. „Ich atme mit Ihnen“, sage ich dann. Ich gehe in den gleichen Atemrhythmus. Das schafft eine Verbindung, wenn ich mich an den Atem des Patienten, der Patientin anpasse, dem Rhythmus folge. So stelle ich mich auf ihn oder sie ein.

Was hat sich für Sie durch Corona geändert? 

Die Gespräche auf der Covid-Station sind länger, der Austausch mit Patienten und ihren Angehörigen ist oft sehr belastend. 

Zum Beispiel? 

Als ich einen alten Herrn begleitet habe, der seine Frau auf der Covid-Station ­besuchte. Dafür haben wir hier in der Klinik eine Art Rund-um-die-Uhr-Bereitschaftsdienst aus Seelsorgern und Psychologen eingerichtet, damit immer ein Begleiter für Angehörige da sein kann. Seine Ehefrau war schwer dement und an Covid erkrankt. Er musste sich komplett in Pflegekleidung schützen, ­Visier, Handschuhe. „Wir waren so innig miteinander, wir haben immer ganz viel Körperkontakt gehabt“, sagte er. Das ist in der Demenz das Schönste und Wichtigste und Beste! Er hat an diesem Bett gesessen, seine Frau angesprochen, die aber gar nicht mehr kognitiv erreichbar war, und berühren durfte er sie nicht. Das ist eine meiner schwersten Erfahrungen: Dass Menschen nach 60 Jahren Ehe ihren Partner so verabschieden müssen. Die Frau ist bald darauf gestorben.

Ist der Tod ein Thema? 

Es gibt Menschen, die es tatsächlich bis zum letzten Atemzug nicht wahrhaben wollen oder können, dass sie sterben müssen. Andere, meist ältere Patienten, sagen: „Ich hatte so ein schönes Leben und ich kann jetzt gehen.“ Manchmal frage ich: „Haben Sie einen Blick über den Horizont hinaus? Irgendeine Vision für ­danach?“ Der Gedanke daran, die Menschen wieder zu sehen, um die man trauern musste, ja, das ist eine starke Hoffnung, von der mir immer wieder erzählt wird. Und: Keine Schmerzen mehr zu haben. Dass das Leiden zu Ende ist. 

Haben Sie selbst Angst vor Corona?

Ja, aber nicht so sehr um mich selbst, sondern davor, dass ich Träger des Virus sein könnte, dass ich ihn hier und in der Familie verbreiten könnte. Das ist für mich das Belastendste in dieser harten Zeit. Aber wir Seelsorger sind sehr gut geschützt. Wir gehörten zu den ersten, die hier in der Klinik geimpft und geboostert wurden. Weil man will, dass wir bei den Patient­innen sein können.

Aber auch bei den Pflegern, Schwestern, Ärzten ... 

Auch mit ihnen tausche ich mich ständig aus, mal auf dem Flur, mal auf Station. „Wie geht es Dir?“ Gerade jetzt wieder stehen alle Mitarbeiter unter einer großen Anspannung. Sie haben sich von Welle zu Welle eigentlich noch gar nicht erholt. 

Alle haben zu Hause eine Familie. Die Kinder waren oft im Homeschooling, während ihre Mütter und Väter hier volle Schicht arbeiten. Oder sie haben eigene Eltern, die im Pflegeheim oder im Krankenhaus sind und nicht ausreichend besucht werden können. Das sind alles Menschen, die neben ihrem Beruf noch ein persönliches Umfeld haben. Das dürfen wir nicht vergessen.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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