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Identitätsmarker für alle

Theresa Dittmann, Pfarrerin in Berlin, und Jehoschua Ahrens, Rabbiner in Darmstadt, über Brit Mila, die Beschneidung, und die Taufe. Mit diesem Interview enden die jüdisch-christlichen Interviews

Jüdische Beschneidungszeremonie. Foto: epd

Begleitend zur Kampagne „#beziehungsweise: jüdisch und christlich – näher als du denkst“ veröffentlicht „die ­Kirche“ jüdisch-christliche ­Interviews. In der letzten Folge im Januar spricht Paula Nowak, Studienleiterin im Amt für Kirchliche Dienste, zu Brit Mila („Beschneidung des Bundes“) beziehungsweise Taufe mit Theresa Dittmann und Jehoschua Ahrens über Identitätsmarker, gelebte Spiritualität, ­lebendiges Wasser und die Frage, warum Jesus jüdisch sein musste.

Die Brit Mila, das Ritual der ­Beschneidung, steht am Anfang eines jüdischen Lebens für Jungen. Wie würden Sie mit einfachen Worten die Bedeutung der Brit Mila erklären? 

Ahrens: Brit Mila heißt „Beschneidung des Bundes“. Brit, auf Hebräisch: der Bund, auf Deutsch: Testament. Die Brit Mila ist das ­physische Zeichen des Bundes, den das jüdische Volk mit Gott hat. Abraham und seine Söhne sind die ersten, die dieses Zeichen der Bescheidung tragen. Sie bekommen es als Teil des Bundes Gottes aufgetragen (Genesis 17,9–14). 

Braucht der Bund so ein Zeichen?

Ahrens:  Eigentlich könnte man sagen, wenn ich an Gott glaube, müsste das ausreichen. Aber wir Menschen brauchen etwas, weil Gott nicht sichtbar ist. Durch solche ­Zeichen wie die Brit Mila spüren wir Gott und die Verbindung zu ihm ­besser.

Wie feiert man die Brit Mila?

Ahrens: Nach dem 8. Tag der ­Geburt werden Jungen beschnitten, Mädchen nicht. Ein Mohel, ein ausgebildeter Experte, bereitet das nach den heutigen hygienischen und ­medizinischen Standards vor. Meist bekommt das Baby eine Creme auf die Haut, so dass es keinen Schmerz spürt. Der Vater und der Mohel sprechen Segenssprüche, manchmal auch der Rabbiner. Dann wird der Schnitt gemacht. Damit ist die Zeremonie schon vorbei. In wenigen Tagen ist alles so gut wie verheilt. 

Erhält der Junge mit der Brit Mila auch den Namen?

Ahrens: Ja, man ruft offiziell den Namen des Kindes aus. Das ist ähnlich wie bei der Taufe. Danach feiert die Familie das wichtige Ereignis. 

Wer sucht den Menschen aus, der das Kind halten darf?

Ahrens: Der Sandak, auf Deutsch Kvatter, der Begleiter des Kindes, hält es dem Mohel zur Beschneidung entgegen. Nicht ganz dasselbe wie ein Taufpate, aber auch jemand, der sehr verbunden ist mit der Familie. 

Welcher ist Ihr persönlicher ­Lieblingsmoment bei der Taufe als Pfarrerin?

Dittmann: Ich mag den Moment, wenn das Wasser feierlich und deutlich sichtbar ins Taufbecken gegossen wird. Das darf plätschern und spritzen. Taufe ist von Anfang an mit einem Wasserritus verbunden. Das soll zu sehen, zu hören, zu erkennen sein! 

Und als Mutter?

Dittmann: … die schöne Tradition des Taufverses! Eltern und Pat*-innen geben dem Täufling ein Bibelwort mit, das den weiteren Lebens- und Glaubensweg begleiten kann. Damit verbindet sich die Botschaft unseres Glaubens mit der konkreten Lebensgeschichte des Kindes oder des Erwachsenen.

Ein paar Tropfen Wasser – was ist nach der Taufe anders?

Dittmann: Heutzutage sind es ein paar Tropfen, Taufen heißt aber Untertauchen. Das war es in den ersten Jahrhunderten auch. Paulus deutet die Taufe als große Verheißung: Wie Christus getauft, begraben und auferweckt wurde, so wird es auch an uns geschehen. Der Wasserritus lässt das leiblich nachvollziehen. 

Ging das im Taufritus verloren?

Dittmann: Das, was früher leibhaftig im Untertauchen erfahrbar war, versuchen wir heute mit vielen Worten zu erklären. Die Ambivalenz von Wasser als Lebenskraft und Lebensbedrohung ist nicht mehr unmittelbar anschaulich. Viele Eltern wollen heute diesen Wasserritus wieder erleben, indem sie ihre Kinder zum Beispiel in einem Fluss taufen lassen.

Ahrens: Das wäre eine Parallele. Nur nicht zu Brit Mila, sondern zur Mikwe, dem jüdischen Tauchbad zur rituellen Reinigung. Unser Thema müsste eigentlich lauten: Taufe beziehungsweise Mikwe. Denn die Mikwe ist die Urform der Taufe. 

Inwiefern?

Ahrens: Das Wasser in der Mikwe ist lebendiges Wasser. Es muss von einer Quelle oder von einem Fluss stammen. Bei der spirituellen Reinigung tauche ich symbolisch unter und das lebendige Wasser bringt mir das Leben. Das frühe Christentum hat das auf Jesus übertragen, da geht es auch um Tod und Leben. In die Mikwe geht man selber und taucht unter. Johannes, der die Leute untertauchte, bekam den Spitznamen „der Tunker“, weil das komisch war. „Täufer“ ist falsch übersetzt.

Welche Parallelen haben die Feste?

Ahrens: Beide sind wichtige ­Rituale für die Zugehörigkeit zur ­Religionsgemeinschaft. Aber jüdisch ist das Kind sowieso. Beschneidung ist kein Initiationsritus. Selbst wenn ein jüdisches Baby nicht beschnitten würde, ist es trotzdem jüdisch. ­Nottaufen bei kranken Kindern wie früher im Christentum, damit sie im Falle ihres Todes Christen sind, gibt es im Judentum nicht.  

Dittmann: Ja, auch die Taufe ist das sichtbare Zeichen für die verbindliche Aufnahme in die christ­liche Gemeinschaft. Auch die Taufe feiert und erwidert die tiefe Verbundenheit zu Gott; eine Verbundenheit, die immer schon da ist, eben weil ich Gottes Geschöpf und Ebenbild bin. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die identitätsstiftende Kraft des ­Rituals. Das Sakrament der Taufe verbindet Christ*innen miteinander über alle Zeiten und Konfessionen hinweg.

Ahrens: Eine schöne Verbindung: Christinnen und Christen aus aller Welt sind durch die Taufe miteinander verbunden. Und Jüdinnen und Jüdinnen sind auch durch das Zeichen der Bescheidung verbunden. Als Unterschied möchte ich aber betonen: Judentum ist nicht nur Religion, sondern auch ein Volk. Jüdisch ist man auch, wenn man nicht glaubt und nicht beschnitten wird. Das ist anders als im Christentum. Da ist man ohne Glaubensbekenntnis und Taufe kein Christ. 

Dittmann: Die Entsprechungen von Taufe und Brit Mila ergeben sich überhaupt erst nach Veränderungen in der christlichen Taufpraxis: ­Anders als bei der Beschneidung am achten Tag wurden in den ersten vier Jahrhunderten des Christentums üblicherweise Erwachsene ­getauft. Dem ging eine ausführliche Unterweisung voraus. Erst im frühen Mittelalter wurde die Taufe zu einem religiösen Ritual, das, wie die Beschneidung, an Säuglingen voll­zogen wird.

Ahrens: Die Beschneidung ist ­anders als bei der Taufe ein Ritual nur für Jungen. Für die Mädchen gibt es eine Namensgebungszeremonie. 

Wäre das Bekräftigen bei der ­Konfirmation und bei der Bar oder Bat Mitzwa auch eine Parallele?

Ahrens: Da gibt es interessante Parallelen. Mit der Bar oder Bat ­Mitzwa gehöre ich als vollwertiges Mitglied zur Gemeinde. Ich bin selbst verantwortlich für meine Taten. Ich erhalte vorher den Bar oder Bat ­Mitzwa-Unterricht. Und im Gottesdienst bekomme ich einen Aufruf zur Tora-Lesung.

Gibt es Rituale für Mädchen, um diesen festlichen Bund zu spüren?

Ahrens: Es gab Rituale für Mädchen schon fast immer. Was neu ist, dass man bei Mädchen auch große Feiern macht. Bei der nächsten Tora-Lesung wird der Vater der Tochter aufgerufen zur Tora. Und ihr Name öffentlich genannt – als Teil der ­Liturgie. 

Welche Bedeutung hat die Brit Mila im christlich-jüdischen ­Gespräch? 

Dittmann: Die Bedeutung der Brit Mila für das Christentum findet sich in Lukas 2. Unmittelbar nach der Weihnachtsgeschichte folgt der Hinweis auf die Beschneidung und die Namensgebung Jesu. Viele meinen, mit Beschneidung habe das Christentum nichts zu tun, aber natürlich ist Jesus als Jude gemäß der Tora ­beschnitten worden. Durch die ­Beschneidung stellt Jesus selbst die Verbindung zum Bund Gottes mit Abraham und Israel her. Und damit auch die unauflösliche Verbindung zwischen jüdischen und christlichen Menschen. 

Ahrens: Es ist kein Zufall, dass die Jahre nicht ab dem 24. Dezember ­gezählt werden, sondern ab dem 1. Januar, dem Tag der Beschneidung: Seitdem ist Jesus im Bund. Man kann den christlichen Glauben nicht verstehen ohne Jesu jüdische Herkunft. Warum war Jesus jüdisch? Jesus war nicht für uns Juden der Messias, sondern er war für die nichtjüdischen Völker gedacht. Er musste aber aus dem Judentum kommen, weil nur das Judentum den einen Gott ­erkannt hat und Jesus ihn von da aus in die Welt bringen konnte. Durch den jüdischen Jesus ist auch die ­Kirche verbunden mit der Heils­geschichte Israels. Christen sollen wissen, wo ihre Wurzeln liegen.

Dittmann: Wie die Beschneidung ein Bundeszeichen ist, ist auch die Taufe aus christlicher Sicht ein ­Bundeszeichen. Durch die Taufe sind wir in den Bund Gottes mit dem Volk Israel hineingenommen. Die Taufe verbindet also nicht nur uns Christen untereinander. Sie beruft uns ebenso in die Beziehung zum Gott Israels und schafft damit die feste, ewig bleibende Verbindung zum jüdischen Volk. „Ich bin gezählt zu deinem Samen, zum Volk, das dir geheiligt heißt“, heißt es in der zweiten Zeile des bekannten Tauflieds „Ich bin getauft auf deinen Namen“ (EG 200).

Beschneidung wird kontrovers ­diskutiert. Wie nehmen Sie das ­aktuell wahr, Herr Ahrens?

Ahrens: Solche Themen wie Beschneidung oder Schächten köcheln immer. Da wird versucht, Kindswohl oder Tierwohl gegen Religionsfreiheit auszuspielen. Es wird so dargestellt, als wäre das gefährlich für das Kind. Dabei zeigen Studien, dass es sogar gut für die Gesundheit des Kindes ist. Im Grunde geht es darum, das Judentum – und vor allem Muslime, aus Deutschland oder Europa fernzuhalten. In solchen Debatten entsteht leider eine Allianz von Rechtsextremen, Verschwörungstheoretikern und militanten Antisemiten sowie ­liberal Denkenden, die behaupten, man brauche das nicht für eine ­moderne Religion. Sie verstehen nicht, was dahintersteckt: ­Religion lebt auch von den Ritualen und der Spiritualität. Wenn man das alles ­abschafft, bleibt keine Spiritualität mehr übrig.

Dittmann: Polemik gegen die Beschneidung wird oft aus der Schublade geholt, um Juden zu bekämpfen. Das Judentum hat die Beschneidung auch durch Zeiten schlimmster Verfolgung hindurch bewahrt. Dass das so bleibt, dafür müssen wir Christ* innen mit einstehen!

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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