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Im Machtvakuum

Von Dezember 1989 bis März 1990 tagte der Zentrale Runde Tisch in der DDR. Das erste Treffen fand vor 30 Jahren am 7. Dezember 1989 im Kirchsaal der Brüdergemeine im Bonhoeffer-Haus in Ostberlin statt. Die Teilnehmer beschlossen in dieser ersten Sitzung die Auf­lösung der Stasi und die Durchführung der ersten freien Wahlen zur Volkskammer. Matthias Reichelt (66) leitete das Arbeitssekretariat des Runden Tisches. Mit ihm sprach Sibylle Sterzik.

Herr Reichelt, wie kam es zu dem Zentralen Runden Tisch?

Die neuen Gruppen und Parteien in der DDR, wie das Neue Forum, die neu gegründete Sozialdemokratische Partei (SDP) oder die Initiative Frieden und Menschenrechte, gingen auf die Kirche zu mit der Frage, ob es die Möglichkeit gibt, ein Forum zu schaffen in dieser Übergangszeit. Damals herrschte ein Machtvakuum. Die Regierenden waren aus Sicht der neuen Gruppen nicht mehr autorisiert. Aber die neuen Gruppierungen hatten kein Mandat. Der Runde Tisch wurde eingerichtet, um diesen Übergang zu moderieren und zu gestalten.

Warum sind die Gruppen auf die Kirchen zugegangen?
Für die Opposition war aus dem politischen Bereich in den Blockparten niemand ein glaubwürdiger Ansprechpartner. Die Kirche hat den oppositionellen Gruppen in den Jahren vor 1989, wenn auch zum Teil widerwillig, – das muss man auch sagen, – Raum gegeben und damit die Möglichkeit sich zu treffen, unter anderem Friedensgebete zu veranstalten. In der Kirche konnten sich Leute einigermaßen geschützt versammeln, beispielsweise die Umweltbibliothek in der Zionskirche. Die Kirchenvertreter hatten damit so eine Art Mittlerfunktion. Auf der einen Seite hatten sie zu den staatlichen Stellen Kontakt. Auf der anderen Seite, je nach Gemeinde, auch guten Kontakt zur Opposition.

Wer saß mit am Tisch?
Vertreter der Blockparteien, der sogenannten Massenorganisationen, unter anderem der Frauenbund, und der neu gegründeten Gruppen, maximal je drei. Am bekanntesten waren das Neue Forum und die Sozialdemokratische Partei (SDP). Am Runden Tisch saßen keine Kirchenvertreter. Die Kirche hatte nur die Moderatorenrolle. Die drei Moderatoren, Pastor Martin Ziegler, Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, der katholische Priester und Vertreter der Berliner Bischofskonferenz, Karl-Heinz Ducke und der Pastor der Evangelisch-methodistischen Kirche, zu der Zeit Sekretär der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der DDR, Martin Lange. Sie hatten kein Stimmrecht und achteten sehr stark auf ihre neutrale Rolle.

Was war Ihre Aufgabe?
Es war vieles zu organisieren für das wöchentlich tagende Instrument Runder Tisch. Dafür wurde ein Arbeitssekretariat gebildet, für dessenLeitung freigestellt wurde von meiner Tätigkeit als Leiter der Reisestelle beim Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR. Das Sekretariat koordinierte die Arbeit zwischen den Sitzungen, erstellte Vorlagen und Protokolle und verteilte sie und hielt Kontakt zu den staatlichen Stellen. Keine der Gruppen hatte ein Kopiergerät. Ab Anfang 1990 hatte ich mit meinen drei Mitarbeitenden zwei Büros im Schloss Niederschönhausen, wo ab Januar der Runde Tisch tagte. Vom ersten Tag an gab es Wäschekörbe voller Post, die wir beantworteten. Auch Kinder schrieben Briefe.

Der Runde Tisch beschloss die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit (Stasi). Da saßen DDR-Blockparteien am Tisch, wie war die ­Atmosphäre?
Es ging mitunter hart zur Sache. Während einer Sitzung Anfang des Jahres beispielsweise kam die Meldung, das Hauptquartiers der Stasi in der Berliner Normannenstraße in Lichtenberg wird gestürmt. Die ­Sitzung wurde unterbrochen und Teilnehmende des Runden Tischs fuhren in die Normannenstraße.

Die Sitzungen dauerten mitunter zehn bis zwölf Stunden. Es wurde auch hart diskutiert und gefordert: Wir klare Aussagen zu Fragen an den Ministerrat bekommen und dafür den Ministerpräsidenten Hans Modrow hier am Tisch haben. Er kam dann auch. Vorher saß dort ein ­Vertreter des Ministerrates, der nur herumdruckste und dem das Misstrauen ausgesprochen wurde. Wir hatten den Eindruck, es wurde auf Zeit gespielt, damit Akten vernichtet und beiseite geschafft werden konnten.

Nach der Volkskammerwahl am 18. März 1990 wurde der Runde Tisch aufgelöst. Die Verfassungsgruppe tagte noch bis Ende März, bis der Verfassungsentwurf fertig war. Doch die neue Volkskammer behandelte ihn dann gar nicht. Ist da der Runde Tisch gescheitert?
Der Prozess war wichtig, insofern war er nicht umsonst. Aber es war natürlich auch ein Scheitern für die Arbeitsgruppe insofern, als die Volkskammer den Entwurf nicht behandelte. Und eine große Enttäuschung. Die Arbeitsgruppe hatte ja die Hoffnung, dass in Zukunft weder das Grundgesetz noch die DDR-Verfassung ­gelten, sondern etwas, was darüber hinausgeht.

Wäre für Sie so ein Runder Tisch auch heute ein gutes Modell, um mit Gruppen nach Lösungen für Probleme zu ­suchen?
Nicht in dem Sinne des damaligen Runden Tisches, wo es ein Machtvakuum gab und das Volk denjenigen, die gewählt waren, nicht mehr traute und sich von ihnen nicht repräsentiert fühlte. Das, was ich mir gut vorstellen könnte, ist, einen Raum zu haben, wo man sich wieder zuhört und miteinander redet. Ich finde, das fehlt. Nicht als Entscheidungsort, an dem Politik gemacht wird, sondern um miteinander ins Gespräch zu kommen.

30 Jahre nach seiner ersten Sitzung tagt der Runde Tisch am 7. Dezember, von 14 bis 19 Uhr, wieder im Kirchsaal der Brüdergemeine im Dietrich-Bonhoeffer-Haus, Ziegelstraße 30/31, Berlin-Mitte. Er diskutiert das gesellschaftliche Zusammenlebens in unserem Land.
Infos: www.zentraler-runder-tisch.de

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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