Pro
Von Jens Meiburg
Unsere Evangelische Kirche gestaltet sich immer konkret vor Ort, in einer Gemeinde, die Gottesdienst feiert und Gemeindeleben und Verkündigung verantwortet. Organisiert sind wir in unserer Kirche in historisch gewachsenen Strukturen, die immer über die einzelne Ortsgemeinde hinaus solidarische Beziehungen zu anderen Gemeinden im Kirchenkreis und in der Landeskirche hat. Nun sind wir an einem Punkt, wo sich die Strukturen unserer kirchlichen Arbeit den Ressourcen anpassen müssen.
Viele Kirchengemeinden verantworten schon lange nicht mehr einzeln die Jugend- und Konfirmandenarbeit und die Arbeit mit Kindern vor Ort, weil dies schon seit Jahrzehnten auf der Ebene des Pfarrsprengels beziehungsweise des Kirchenkreises passiert.
Nicht nur im Blick auf die Ressourcen der haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden und den zunehmenden Druck durch mehr Verantwortung und weniger Mitarbeitende ist die Zusammenarbeit zwischen Kirchengemeinden nötig und gut. Dies fordert dazu heraus, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, über den eigenen Kirchenturm hinaus. Viele Gemeinden tun dies schon lange und auf vielfältige Weise, ob als fusionierte (Gesamt-)Kirchengemeinde oder in einem Pfarrsprengel.
Darum ist es gut, dass das Gemeindestrukturgesetz verschiedene Formen der Organisation ermöglicht. Die Diskussion darüber läuft schon über viele Jahre, auch wenn es offensichtlich noch nicht jede*r Mitverantwortliche in einigen Gemeinden mitbekommen hat.
Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat mir gezeigt, dass ein solcher Entwicklungsprozess nicht automatisch und nicht immer der Einsicht folgend geschieht. Darum ist nicht nur der Wunsch nach gemeinsam geltenden Regeln und Strukturen da. Es braucht auch einheitliche Kriterien, eben eine Mindestgröße für die Gemeinde als Körperschaft öffentlichen Rechts. Die Zahl 300 pro Körperschaft erscheint mir maßvoll. Es ist wichtig, dass sie kommt und zwar jetzt. Wir brauchen mehr Klarheit in den Rahmenbedingungen und vor allem Bewegung in der Sache. Ich hoffe, dass weniger Verwaltung und mehr Verkündigung und Seelsorge dabei herauskommt. Denn die Herausforderungen und Aufgaben sind groß.
Deshalb müssen die Arbeitsstrukturen für Pfarrer*innen und Gemeindekirchenratsvorsitzende klarer und überschaubarer sein. Zwar fürchten einige, in einer neuen Struktur nicht genügend Beachtung und Versorgung zu erlangen und andere fürchten den Zugriff auf ihre Rücklagen und zusätzlichen Einnahmen. Doch wir können nur gemeinsam Kirche sein.
Prioritäten müssen gemeinsam gesetzt, Entscheidungen müssen gemeinsam getroffen werden. Dafür braucht es Menschen, die Lust und Freude an der Gestaltung des Gemeindelebens haben und sich einsetzen für ihre Kirche. Dafür braucht es auch Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, wenn es ums Ganze geht.
Sind sie da und bereit, sich dieser auch eigenen Entwicklung zu stellen?
Jens Meiburg ist Pfarrer der Kirchengemeinde St. Katharinen und der St. Gotthardt- und Christuskirchengemeinde in Brandenburg/Havel.
Kontra
Von Dietmar Bleyl
Auf der diesjährigen Herbstsynode soll die Mindestgliederzahl künftiger Kirchenge-meinden beschlossen werden, die sich meiner Meinung nach zurecht als „Aufreger“ herausgestellt hat. Nach den aktuellen Vorstellungen der EKBO soll ein Kirchensprengel mindestens 300 und eine Gesamtkirchengemeinde 500 Mitglieder haben. Praktisch bedeutet das die Fusionierung von 8 bis 10 ländlichen Gemeinden mit Folgen auf die Wahrnehmung der pfarramtlichen Pflichten. Da eine Ausnahmeregel im Gesetz nicht vorgesehen ist, steht damit für jede ländliche, gegebenenfalls auch städtische, Kirchengemeinde die Fusion mit anderen Kirchengemeinden an.
Für das Gesetz gibt es keine – im staatlichen Bereich selbstverständliche – schriftliche Begründung. Damit besteht keine Möglichkeit, die Überlegungen und Fakten, die dem Gesetz zu Grunde liegen, nachzuvollziehen. Wer hoffte, bei den vom Konsistorium angebotenen Konsultationsgesprächen Näheres zu erfahren, wurde enttäuscht. Den genannten Zahlen liegen keine Erfahrungen und Modelle zugrunde.
Förmlich vor den Kopf gestoßen müssen sich alle Kirchengemeinden fühlen, die in der Vergangenheit bereit waren, die Zusammenarbeit mit ihren Nachbargemeinden zu verstärken, um damit auf die Bildung eines Kirchensprengels zuzusteuern. Das Kirchengemeindestrukturgesetz (KGSG) konterkariert ihre Bemühungen, denn das Gesetz billigt Pfarrsprengeln im Gegensatz zu den Gesamtkirchengemeinden nicht den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu. Nicht bestimmt ist, wer den Körperschaftsstatus an ihrer Stelle übernimmt.
Die Kirchengemeinden sollen administrativ entlastet und professioneller verwaltet werden. Hiermit sind die GKR-Sitzungen gemeint. Aber nach meinen Erfahrungen werden sie zahlenmäßig bei monatlichen Sitzungen bleiben, wobei für jede wegen der erweiterten Zuständigkeiten wesentlich mehr Zeit zur Vor- und Nachbereitung benötigt wird. Nicht zu vergessen sind aber auch die zusätzlich anfallenden Fahrt- und damit Dienstzeiten der hauptamtlichen Mitarbeiter.
Die ehrenamtlichen Tätigkeiten sollen bei den Gemeindeverbänden in für das geistliche Leben vor Ort zuständige Ortsgemeinderäte und für die öffentlich-rechtlichen Aufgaben zuständige Gemeindekirchenräte gesplittet werden. Dafür bedarf es mehr Ehrenamtliche als bisher, die nur schwerlich im ländlichen Raum zu finden sein werden. Durch wen die verwaltungsmäßige Entlastung der Gemeinden erfolgen soll, konnte in den Konsultationsgesprächen niemand benennen. Auf Grund der Erfahrungen der letzten Jahre besteht dahingehend Einigkeit, dass die Kirchlichen Verwaltungsämter derzeit dazu nicht in der Lage sind.
Hinzukommt, dass der beabsichtigte Umstrukturierungsprozess viel Unruhe in die Gemeinden bringen und ohne eine vorhandene Logistik nicht zu bewältigen sein wird. Daraus entstehen unter anderem zusätzliche Kosten, zum Beispiel für die Umschreibungen in den Grundbüchern. Es ist offen, wer dafür aufkommen wird.
Meine Hauptbedenken liegen aber nicht in den Unklarheiten und bislang unberücksichtigten Aspekten des Gesetzes; vielmehr befürchte ich die Folgen des Gesetzes. Mit der Bildung immer größerer Strukturen, wie das in der Vergangenheit bei der Übertragung vakanter Kirchengemeinden geschehen ist, nimmt unvermeidlich die Präsenz der Kirche, insbesondere im ländlichen Raum, ab. Das hat zur Folge, dass Kirche vor Ort immer weniger wahrgenommen und für die Menschen belanglos wird. Diese Konsequenz kann doch nicht gewollt sein! Notwendig wäre eine Personaloffensive auf der Gemeindeebene!
Dietmar Bleyl ist Vorsitzender des Gemeindekirchenrates der Gesamtkirchengemeinde Alt-Töplitz.