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Jeden Tag Proteste im ganzen Land

Interview: Haben die Proteste im Iran eine Chance, etwas zu verändern?

Im Iran gelten strenge Kopftuchregeln für Frauen. Der Verstoß gegen diese kostete die junge Jina Mahsa Amini ihr Leben. Das löste heftige Proteste auf den Straßen aus. Symbolfoto: epd

„Frauen, Leben, Freiheit“, rufen Demonstrierende seit Wochen auf den Straßen im Iran. Aus­löser war der Tod der 22-jährigen kurdischen Frau Jina Mahsa Amini, die wegen Verstoßes gegen Kopftuchregeln verhaftet wurde und kurz darauf im Krankenhaus starb. Bei den Protesten verloren viele ihr Leben, Tausende wurden inhaftiert. Auch wenn viele Frauen dabei ihre Kopftücher ­abnehmen und verbrennen, geht es um mehr als das, sagt Kirsten Wolandt im ­Interview mit Sibylle Sterzik. Sie war bis Juli Pfarrerin der deutschen evangelischen Gemeinde in Teheran. 

Kirsten Wohlandt, das Kopftuch ist Symbol für den Protest, aber was treibt die Frauen noch auf die Straße?

Viele Iraner, nicht nur die Frauen sind unzufrieden. Sie wollen Freiheit, sie wollen selbst entscheiden wie sie leben, wie sie sich kleiden, welche Musik sie hören, wie sie ihr privates Leben gestalten. Dazu kommt die wachsende Sorge um den Alltag. Die Inflation liegt bei knapp 50 Prozent, Lebensmittel werden täglich teurer. Vom Ausland kaum beachtet protestieren die Menschen seit geraumer Zeit im ganzen Land: Lehrer, die von ihrem geringen ­Gehalt nicht existieren können; Rentner, deren Rente seit Monaten nicht gezahlt wird; Arbeiter, die ­wochenlang auf ihren ausstehenden Lohn warten; Bauern, die unter der Wasserknappheit leiden. Diese vielfache Unzufriedenheit kommt in den jetzigen Protesten zusammen. Besonders die jungen Leute, die für sich keine Perspektive sehen, gehen jetzt auf die Straße. Für die Frauen ist der Druck noch einmal besonders groß, weil sie am meisten eingeschränkt sind und weniger Rechte haben als die Männer.

Woher nehmen die Menschen die Kraft, sich der Gefahr auszusetzen und öffentlich zu protestieren?

Offenbar sind wir an einem Punkt, wo ein Tropfen das Fass zum überlaufen gebracht hat und die Wut sich Bahn bricht. Dabei sind die Risiken sich an den Protesten zu beteiligen groß: Neben der realen Gefahr für Leib und Leben, drohen hohe ­Gefängnisstrafen. Gleichzeitig gibt es aber auch viele, die sich von den Protesten fernhalten. Zu stark sind die Erinnerungen an die „Grüne ­Revolution“ 2009 oder die Aufstände nach der Benzinpreiserhöhung 2019, die brutal niedergeschlagen wurden. Noch immer sind Menschen aus ­diesen Protestbewegungen im ­Gefängnis. Dazu kommt, dass auch die ­Revolution von 1979 – und die Ernüchterung, dass sie für viele nicht die gewünschte Freiheit ­gebracht hat – immer präsent ist. 

Haben die Proteste überhaupt eine Chance, die Gesellschaft zu verändern – gegen den rigiden Staatsapparat? 

Das wird zum einen davon ­abhängen, ob die Bewegung weitere Unterstützung bekommt und von wem. Deutlich ist, dass große Teile der Bevölkerung zumindest sympathisieren. Die andere Frage ist, inwieweit der Staat sich auf Veränderungen und Zugeständnisse einlässt. 

Wie haben Sie Land und Leute, ­besonders die Situation der Frauen während Ihrer Zeit im Iran erlebt? Wie reagiert das Regime auf Kritik?

Kritik wird offen geäußert, in ­privaten Gesprächen, auch im Taxi oder unterwegs. Problematisch wird es, wenn das in Protesten und öffentlichen Aufrufen geschieht. Denn dann reagiert der Staat mit großer Härte. Öffentliche Versammlungen, die sich gegen das bestehende System richten wie am Internationalen Frauentag, am 8. März, sind nicht ­gestattet. Im „Frauenabteil“ in der Metro tragen fast alle Frauen ihr Kopftuch, obwohl sie ja „unter sich“ sind. Neben der staatlichen ist auch die soziale Kontrolle riesig.

Trotzdem sind es vor allem die Frauen, die immer wieder versuchen, die Grenzen der Möglichkeiten auszuloten, indem sie die Bekleidungsvorschriften weiter ausdehnen oder Aktionen starten, zum Teil auch als Einzelpersonen wie die „Mädchen der Revolutionsstraße“, die 2017/2018 öffentlich ihre Kopftücher abnahmen. 

Kann eine kleine Gemeinde wie die deutsche evangelische Gemeinde in Teheran sich positionieren und Iraner*innen unterstützen? 

Als christliche Gemeinde gehört die Gemeinde zu den „anerkannten religiösen Minderheiten“, das heißt wir können unsere Gottesdienste in einem internen Rahmen feiern. Wir dürfen keine Mission treiben, also Andersgläubige zu unseren Veranstaltungen einladen. Das tut die ­Gemeinde auch nicht. Genauso wie sie sich nicht zu politischen Ange­legenheiten äußert.

Was berichten Ihnen Menschen aus dem Iran aktuell?

Kontakt zu halten ist wegen der Drosselung oder zeitweiligen Sperrung des Internets nicht einfach. Auch die Menschen im Iran selbst sind auf mündliche Berichte angewiesen. Vieles, was geschieht, kann man kaum nachprüfen. Aber es ist klar, dass es im ganzen Land jeden Tag Proteste gibt.

Finden Sie, dass deutsche Politik und Medien den Protestierenden im Iran genügend Solidarität und Aufmerksamkeit widmen?

Viele Iraner:innen fühlen sich dem Westen und seiner Lebensweise verbunden. Vielleicht ist deshalb ihr Eindruck, von hier nicht wahr­genommen zu werden, besonders stark. Sie vermuten, dass der Westen sich zurückhält, weil das Interesse an der Wiedereinsetzung des Atomabkommens größer ist oder weil man eine weitere Destabilisierung der ­gesamten Region befürchtet.

Trotzdem sollten wir so genau wie möglich hinschauen – in der Presse und in der Politik – und zu der derzeitigen Situation und den Verletzungen grundlegender Menschenrechte Stellung beziehen. Auch wenn klar ist, dass Veränderung aus dem Iran selbst kommen muss. 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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