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Jeder einzelne Fall von Missbrauch widerspricht allem, wofür Kirche steht

Auch in der Evangelischen Kirche dauert die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt zum Teil sehr lange. Dabei müsse sie zügig ­geschehen und dürfe nicht „institutionell versickern“, sagt Bischof Christian Stäblein im Interview mit Sibylle Sterzik. Ehrlich Verantwortung zu ­übernehmen sei der einzige Weg, verlorenes Vertrauen wiederzu­gewinnen. Doch als Täterin könne sich die Kirche ihr Urteil nicht selber sprechen

Bischof der EKBO, Christian Stäblein: „Da bin ich als Mensch und als Vater mit dem Herzen erst einmal bei den ­Betroffenen.“ Foto: Matthias Kauffmann/EKBO

Bischof Stäblein, was ging Ihnen bei der Vorstellung des Gutachtens zu sexualisierter Gewalt im Erzbistum München und ­Freising am 20. Januar durch den Kopf?

Ich war schockiert. Mein erster ­Gedanke ist bei den Opfern. Welche Zahl an Menschen, die furchtbarste Erfahrungen mit der Kirche gemacht haben. Dann kommt Empörung hinzu: Wie kann das sein? Wie konnte das ­geschehen?

Das Vertrauen der Menschen in die Kirchen ist auf einem Tiefpunkt. Viele unterscheiden nicht zwischen katholischer und evangelischer Kirche. Reißt der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche auch die evangelische mit in den Sinkflug der Mitgliederzahlen und Glaubwürdigkeit? 

Es verschlägt auch mir als Erstes die Sprache, wenn ich von diesen Missbrauchstaten höre, die in einem Gutachten wie dem Münchener stehen. Aber wir müssen über diese Verbrechen reden und dürfen nicht schweigen. Wir müssen diese schrecklichen Geschehnisse aufarbeiten. Da sind wir ja dran in der katholischen und auch in der evangelischen Kirche. Ich will öffentlich sagen, wie entsetzlich die Taten sind. Ich kann Schweigen, mein Schweigen an dieser Stelle nicht ertragen. Wir müssen die Dinge deutlich benennen. Aber auch die Unterschiede unserer Kirchen. Und dass um der Betroffenen willen, um der Menschen willen, die Vertrauen zu uns haben. Wir müssen deutlich machen, dass die Kirchen, je verschieden, lernen müssen, andere zu werden.

Wo hätten Sie reden müssen, wo Sie ­geschwiegen haben?

Ich will vorsichtig sein, damit ich nicht zu leicht mit dem Finger auf andere zeige. Und vertraue darauf, dass auch die römisch-katholischen Geschwister das in dem Missbrauchsgutachten zutage geförderte Fehlverhalten und die sexualisierte Gewalt aufarbeiten und dass sie für die Opfer da sind. Da bin ich als Mensch und als Vater mit dem Herzen erst einmal bei den Betroffenen. Gleichzeitig darf diese Vorsicht nicht zu einer falschen Zurückhaltung führen. Sodass man denkt: Jetzt sagt auch unsere Kirche nichts dazu, weil es die andere Kirche betrifft. Das will ich nicht. Gerade aus Mitgefühl und Solidarität müssen wir ­unsere Pflicht zur Aufklärung und zur Umkehr klar benennen. 

Könnte man sagen, es gibt Schweigen auch in der Evangelischen Kirche, wo noch deutlicher etwas zu den Missbrauchsfällen unserer Kirche gesagt werden müsste?

Ja, das kann man nicht nur sagen, das muss man sagen. Denn es ist so: Wir haben in unserer evangelischen Kirche Missbrauchsfälle. ­Sicher, da geht es in der Zahl um andere ­Dimensionen. Aber jeder einzelne Fall widerspricht allem, wofür unsere Kirche steht. Und ist ein völliger Verlust all dessen, was wir verkündigen. 

Als evangelische Kirche sind wir in den letzten Jahren an vielen Stellen in der Aufarbeitung. Wo ein Fall zum Staatsanwalt gehört, gehört er unbedingt zum Staatsanwalt. Da wird nachgeforscht und gerichtlich vorgegangen. Das ist richtig und gut so. Und gleichzeitig muss man sagen: Wir waren auch als evangelische Kirchen nicht schnell – leider. Es hat zum Teil sehr lange gedauert. Wir müssen dafür sorgen, dass die Aufarbeitung zügig geschieht. Und nicht institutionell versickert. 

Sie haben am Anfang gesagt, man muss deutlich unterscheiden zwischen evange­lischer und katholischer Kirche. Welche Unterschiede meinen Sie?

Wenn wir aufarbeiten, müssen wir auf die verschiedenen Strukturbedingungen gucken. Die katholische Kirche muss ihre Strukturbedingungen in den Blick nehmen, die diesen schrecklichen Missbrauch ermöglicht haben, und die eigenen Strukturbedingungen, die die Aufarbeitung bisher verhindert haben. Wie lange ist was gedeckt und nur Personal verschoben worden? Bei den Bedingungen, die Missbrauch ermöglichen, diskutiert die katholische Kirche sehr intensiv etwa über die Frage des Zölibats. Oder welche Rolle die Tabuisierung und Verdrängung von Sexualität spielt, wenn es zu so vielen Fällen sexualisierter Gewalt kommt. Das muss die katholische Kirche aufklären. 

Und die evangelische Kirche?

Wir als Evangelische Kirche sind genauso in der Pflicht, unsere Strukturbedingungen für den Missbrauch aufzuklären. Deswegen gibt es die wissenschaftlichen Studien, die in allen Landeskirchen der EKD angestrengt werden. Sie werden auch eine Dunkelziffer-Erhebung vornehmen. Was sind die Strukturbedingungen für Missbrauch, die spezifisch sind für die evangelische Kirche? Da wird man in verschiedene Arbeitsbereiche blicken müssen, möglicherweise auch in den Bereich von Pfarrhauskulturen, und in ganz bestimmte Formen liberaler Milieus, insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren. Das meine ich damit, dass wir sehr genau auch auf die Unterschiede gucken müssen. Und das wieder nicht, um der erste Ankläger für eine andere Kirche zu sein — das ist überhaupt nicht meine Aufgabe –, sondern um es sehr deutlich mit zu benennen. Denn es geht hier nicht ausschließlich um individuelles Fehlverhalten, das auch, es geht um strukturelle Bedingungen. 

Die Evangelische Kirche ist anders strukturiert, parlamentarisch aufgebaut und scheinbar weniger anfällig für sexualisierte Gewalt. Stimmt das, steht sie wirklich besser da als die katholische?

Von besser würde ich in diesen Zusammenhängen nie sprechen. Ich habe die Opfer vor Augen und kann so ein Wort gar nicht in den Mund nehmen. Wir stehen anders da. Es sind andere auf schreckliche Weise die sexualisierte Gewalt begünstigende Bedingungen, wie ich sie eben geschildert habe. Manches haben wir eben nicht, wie das Zölibat. Um der vielen Christinnen und Christen willen, die sich ökumenisch verbunden wissen, ich auch, ist es so wichtig, dass wir uns unsere Unterschiede ­zugestehen und sie benennen. Nur wenn die Dinge nicht alle vermischt werden, kann es Aufklärung auf jeder Seite geben. 

Menschen hadern mit der Institution Kirche. Nicht nur in der katholischen, auch in der evangelischen Kirche. Wie ist dieses verloren gegangene Vertrauen zu retten, wieder zurückzugewinnen?

Ein-sich-selber-Retten gibt es an dieser Stelle nicht. Es gibt nur ein ehrliches Schuld-Benennen, Offenlegen und das ehrliche Übernehmen von Verantwortung, ein klares Handeln, Umkehren und Bekennen zur Aufarbeitung. Ich glaube, das spüren Menschen sofort, ob es ehrlich gemeint ist, bis hin zu ­persönlichen Konsequenzen. Oder ob ­Menschen getrieben sind von dem Gedanken, wie sie die Institution retten können. 

Das will ich für uns als Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz klar sagen: Ich bin den Menschen, die in der Aufarbeitung bei uns engagiert sind, der Kommission zur Aufarbeitung und insbesondere der Vorsitzenden, Marie Anne Subklew-Jeutner, sehr dankbar für das große Engagement, bei dem sie mit bitteren Zusammen­hängen dieser Kirche konfrontiert sind, mit Abgründen von Menschen und mit ganz schwerem Leid von Opfern. Über das wir sagen müssen: Das ist nicht und nie irgendwie wiedergutzumachen. Was wir tun können – wo sich Menschen öffnen, zuhören, das Erlittene anerkennen, unterstützen und begleiten –, das müssen wir als Kirche leisten. Nur nicht mit dem Gedanken, dass wir irgendetwas dadurch retten. Ich glaube, das ist der einzige Weg, dass Menschen vielleicht, hoffentlich, wieder ­Vertrauen zur Kirche finden können.

Geschieht Ihrer Meinung nach Auf­arbeitung ohne Ansehen der Person, ohne Widerstand, mutig und offen in der evangelischen ­Kirche? 

Ich glaube ja. Denn wo immer daran gearbeitet wird: Alle, die damit in der Evangelischen Kirche befasst sind, auch auf der Ebene der EKD, tun das mit diesem Anspruch. Dass trotzdem Großorganisationen wie die Evangelische Kirche darin verfallen, systemischen Selbstschutz zu entwickeln, ist leider so. Das kann man immer wieder beobachten. Dann dauert es lang und noch länger. Dagegen müssen wir immer wieder angehen und sagen: 

Es geht nicht um die Institution. Es geht um die Menschen und es geht um die Betroffenen. Die Institution ist um der Menschen willen da und nicht die Menschen für diese Institution. Es geht darum, dass wir alles uns Mögliche dafür tun, damit nicht wieder Menschen sexuelle ­Gewalt erleiden.

Kirche selbst kann und darf sich nicht ­retten wollen, sondern muss an die ­Betroffenen denken. Sie darf und kann aber auch nicht selbst als Täterin das Urteil über die eigenen Verfehlungen sprechen?

Ja. Deswegen ist es so wichtig, dass wir ­aktuelle Fälle immer an den Staat abgeben. Wo sexualisierte Gewalt stattfindet und Missbrauch, hat nicht die Kirche das Urteil zu sprechen, sondern da haben öffentliche und staatliche Gerichte und Staatsanwaltschaften zu übernehmen. Und wo wir über die Aufarbeitung sprechen, ist es so wichtig, dass wir die Deutungshoheit abgeben. Das ist in den zehn Jahren der Aufarbeitung in der Evangelischen Kirche eine wichtige Erkenntnis: Die Kirche kann es nicht sein, die ihr eigenes Urteil spricht. 

Beratung und Hilfe für Betroffene von Missbrauch und sexualisierter Gewalt: Telefon (030) 243 44 199, mittwochs 15 bis 17 Uhr und freitags 9 bis 11 Uhr, E-Mail: beratungundhilfe(at)ekbo.de

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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