Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Inhalt springen
RSSPrint

"Jetzt gibt es mich ja wirklich"

Wie aus einem katholischen Mädchen ein evangelischer Pfarrer wurde

Der evangelische Pfarrer Samuel Schelle in der Auferstehungskirche in Überlingen.
Der evangelische Pfarrer Samuel Schelle in der Auferstehungskirche in Überlingen. Foto: Winfried Rothermel/epd

Von Leonie Mielke (epd)

Von sich selbst sagt Samuel Schelle, dass er "eigentlich ein absoluter Durchschnittsmensch" ist. Nur, dass seine Identität eine etwas größere Rolle spiele als bei anderen Menschen. Vor 37 Jahren wurde Samuel als Susanne in eine traditionelle katholische Familie hineingeboren, doch als Frau fühlte er sich im Katholizismus nicht willkommen. Er konvertierte, wurde evangelische Pfarrerin, sein Traumberuf - und war trotzdem todunglücklich. Irgendwas mit dem Liebesleben funktionierte bei ihm nicht. Bis er begann, sich mit Transsexualität zu beschäftigen, "mit dem Gefühl, im falschen Körper geboren zu sein", wie er sagt. "Plötzlich machte alles Sinn", erzählt der Pfarrer aus Überlingen am Bodensee. Er trat den Weg zu einem neuen Leben als Mann an.

Schelle sagt, seitdem er denken könne, habe er gewusst, dass er anders sei: "Ich fand es immer komisch, dass die anderen mich für ein Mädchen hielten." Allerdings hatte er keinen Namen für sein "Anders-Sein". Seine Eltern ließen ihm alle Freiheiten. "Ich hatte dahingehend eine glückliche Kindheit, war kein Außenseiter." Er sei eben nur kein "klassisches Mädchen" mit Kleidern und langen Haaren gewesen.

"Vom Denken und vom Herzen war ich schon immer Protestant gewesen"

Erst in dem Moment, als er Liebe und Sexualität entdeckte, wurde es wirklich schwierig. "Nichts schien zu passen", sagt Schelle. Weder bei Männern noch bei Frauen gelang es ihm, er selbst zu sein. Schelle sagt, er schob das Thema immer wieder weg, steckte seine Energie in andere Dinge – Schule, Studium, seinen Glauben.

In der katholischen Kirche fand er jedoch keine Erfüllung. "Als Mädchen bin ich schnell an Grenzen gestoßen. Das erschien mir unfair", erklärt Schelle. Mit 18 Jahren konvertierte er zum protestantischen Glauben und stellte fest: "Vom Denken und vom Herzen war ich schon immer Protestant gewesen." Er studierte Theologie und bekam mit 30 Jahren seine erste Pfarrstelle in einer Gemeinde im Schwarzwald. "Ich stand beruflich da, wo ich wollte, und war trotzdem nicht glücklich."

"Gott hat mich so geschaffen, wie ich bin – als transidenter Mann"

Er fragte sich, was an ihm "falsch" sei. Wieso die anderen eine Familie gründeten und bei ihm nichts in diese Richtung klappte. Eine Therapeutin machte ihn schließlich auf das Thema Transsexualität aufmerksam. Wobei Schelle den Begriff "Transidentität" bevorzugt. "Bei transsexuell denken viele, dass es etwas mit Sex zu tun hat", erläutert er. Aber es gehe um Identität.

Für ihn war es eine großartige Entdeckung: "Ich habe erfahren, mein Denken, mein Sein, das ist alles richtig", erzählt er. Auch mit seinem Glauben konnte er seine neue Identität in Einklang bringen. "Gott hat mich so geschaffen, wie ich bin – als transidenter Mann", betont Schelle. Überhaupt, gibt er zu bedenken, sei die Welt doch so vielfältig, warum sollte Gott sich ausgerechnet beim Geschlecht auf nur zwei Alternativen beschränken.

Einzig, ob er gleichzeitig Mann sein und als Pfarrer arbeiten könne, machte ihm Sorgen. Daher wechselte er zunächst die Pfarrstelle, ging nach Überlingen. Der Plan war, dort zwei Jahre zu bleiben, in dieser Zeit wolle Schelle seinen Namen und seinen Körper verändern. "Danach wollte ich dann in einer anderen Gemeinde neu als 'Herr Schelle' anfangen", erzählte er. Das sei jetzt aber gar nicht mehr so wichtig. "Ich habe hier von Anfang an so viel Unterstützung erfahren, dass ich gerne auch im Bezirk bleiben würde." Ob es noch andere transidente Pfarrer in Baden gibt, dazu äußert sich die Landeskirche aus Datenschutzgründen nicht.

Regine Klusmann ist evangelische Dekanin im Kirchenbezirk Überlingen-Stockach und Schelles Vorgesetzte. Er sei ein beliebter Pfarrer, sagt sie: "Durch seine fröhliche Art und seinen offenen Umgang mit dem Thema Transidentität gab es keine Probleme." Einige Nachfragen seien zwar gekommen, aber schnell sei klar gewesen, dass man sich sein Geschlecht nicht einer augenblicklichen Laune folgend aussucht, sondern dass Transidentität biologische Ursachen hat. Grundsätzlich, sagt Klusmann, sei es als Vorgesetzte ihr Bestreben, gar nicht so viel Aufhebens um das Thema Transidenität zu machen, sondern es als normale Möglichkeit zu betrachten.

Heute betreibt Samuel Schelle auch Aufklärung an Schulen

Schelle sieht das genauso. Er wünscht sich für die Zukunft einen offeneren Umgang mit dem Thema Geschlechtsidentität. Es wäre schön, wenn die Gesellschaft dem Geschlecht nicht so viel Gewicht beimessen würde. "Wir sollten Menschen nicht nach Mann und Frau sortieren, sondern besser nach Fähigkeiten und Eigenschaften", betont er.

Manchmal besucht er Schulen, um Jugendlichen von seinem Werdegang zu berichten. "Es ist wichtig, dass sie wissen, dass es Transidentitäre gibt", sagt er. Es sei für ihn kein Spaß gewesen, jahrzehntelang mit seiner Identität zu hadern. Sie sollten die Chance haben, schon in jüngeren Jahren einen Namen für ihr "Anders-Sein" zu bekommen - und einem ganz normalen Menschen zu begegnen, der eben transident ist. Dann seien die Menschen auch aufgeschlossener für das Thema.

Und auch für das kirchliche Leben hat Schelle noch eine Idee: "Es wäre schön, wenn es eine neue Kasualie gebe, um transidente Menschen zu begleiten", sagt er. Einen Gottesdienst für eine wichtige Lebensstation also, der Umbrüche wie seinen spiegelt. "Ich würde gerne noch einmal mit meinem neuen Namen, als Samuel Schelle, den Segen Gottes zugesprochen bekommen. Jetzt gibt es mich ja wirklich."

Artikelkommentar

Artikelkommentar
captcha
Bitte tragen Sie das Ergebnis der Rechenaufgabe in das Feld ein.
Hinweis: Die von Ihnen ausgefüllten Formulardaten werden lediglich für die Zwecke des Formulars genutzt. Eine andere Verwendung oder Weitergabe an Dritte erfolgt nicht.

Artikelkommentare

(3) Artikel Name Ihr Kommentar
1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

Hier gelangen Sie zur Übersicht über alle Kommentare.