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Kirche unter dem Kreuz

Zur Lage der christlichen Armenier im Konflikt um Bergkarabach

Die Kreuzstein-Kultur ist das ­spirituelle Erbe Armeniens. Foto: Andreas Goetze

Die Region Bergkarabach ist eine Bergregion, die seit Jahrhunderten überwiegend von Armeniern bewohnt wird und auf Armenisch Arzach heißt. Sie liegt im öst­lichen Südkaukasus zwischen der heutigen Republik Armenien im Westen, der Republik Aserbaidschan im Osten und dem Iran im Süden. Ihr Gebiet ist ungefähr doppelt so groß wie das Saarland. Die zahlreichen uralten Kirchen und Klöster lassen die kulturelle Prägung dieser Region erkennen. Gegenwärtig leben dort knapp 150000 Armenier, 100000 sind nun auf der Flucht.

Von Andreas Goetze

„Die Spuren der historischen ­Präsenz der christlichen Armenier sollen ausgelöscht werden.“ Trauer spiegelt sich in den Augen des Katholikos Karekin II., dem Oberhaupt der Armenisch-Apostolischen Kirche. Nach der Eroberung der Stadt ­Shushi in der Region Bergkarabach zerstörten aserbaidschanische Soldaten die Kirche St. Johannes Mkrtich. Schon zuvor wurde die Erlöser-Kathedrale durch Raketenbeschuss stark beschädigt. Die Sorgen des Katholikos sind nicht unbegründet. Die Türkei und Ascherbaidschan haben das kleine Land Armenien schon lange in die Zange genommen.

Pogrome schon im Osmanischen Reich

Aus den Turkmenen, den im Mittelalter erwähnten Stämmen, sind die heutigen Völker der Türken und Aserbaidschaner hervorgegangen, die überwiegend sunnitische Muslime und Aleviten sind. Den turk­menisch-muslimischen Herrschern war die christliche Präsenz in der Region stets ein Dorn im Auge. Schon in der Zeit des Osmanischen Reiches wurden die Armenier, ­Aramäer und Pontos-Griechen mehrfach Opfer schlimmster regierungsamtlich geförderter Pogrome und Massaker.

Allein zwischen 1894 und 1896 wurden unter der Herrschaft von Sultan Abdul Hamid II., einem engen Verbündeten des damaligen deutschen Kaisers Wilhelm II., bis zu 300000 Armenier von der osmanischen Obrigkeit und mit ihr verbündeten kurdischen Hamidiye-Banden ermordet. 1915 setzten die sogenannten Jungtürken im Schatten des Ersten Weltkriegs mit stillschweigender Billigung der Regierung des Deutschen Reichs einen Völkermord an der armenischen ­Bevölkerung fort, der bis heute von der Türkei nicht als solcher anerkannt wird. Ihm fielen bis zu eineinhalb Millionen Armenier zum Opfer. Die Mehrheit von ihnen wurde auf Todesmärschen in die mesopotamische Wüste getrieben.

Armenien – das älteste christliche Land

Schon im Jahre 301 nach Christus war Armenien ein christliches Land. Die Armenische Apostolische Kirche ist die älteste Staatskirche der Welt. Die Kirche wird apostolisch genannt, weil ihre Gründung auf die Apostel Thaddäus und Bartholomäus zurückgeht, die in Armenien gelehrt haben und die ersten Gemeinden ­gegründet haben sollen. Das Land liegt „nahe am Paradies“, denn hier entspringen der Tradition nach die vier Paradiesflüsse. Auf dem Berg Ararat ist dereinst die Arche Noah gestrandet. Diesen Berg, der in der Türkei liegt und der den Armeniern als heilig gilt, können sie allerdings nur über Georgien erreichen, denn die armenisch-türkische Grenze ist geschlossen. 

Zu Armeniens christlichem Erbe gehören nicht nur Klöster, sondern auch Manuskripte, Liturgien und vor allem die Kreuzsteine, die „Chatschkare“. Überall in den Gebieten des alten Armenien finden sich diese Kreuzsteine und bezeugen die Geschichte des ältesten christlichen Landes der Welt mit eigener Sprache. Im Jahr 404 erschuf der Mönch Mesrop Maschtoz das armenische Alphabet und bereitete damit den Weg für die Übersetzung der Bibel und der Ausprägung einer eigenen armenisch-christlichen Identität. Auch in der Diaspora, in der etwa sieben Millionen Armenier*innen leben, wird die Sprache gepflegt.

Armenien ist ein Brückenland in vielfältiger Hinsicht und kennzeichnet ein reiches, geschichtsträchtiges Erbe: 5000 Jahre Kultur zwischen Europa und Asien. Es lag im Schnittpunkt der römisch-hellenistischen Welt und ist von der persischen Kultur mit seiner Religion von Zarathustra geprägt. Man sagt, es gäbe in Armenien an die 4000 historische Stätten. So wird Armenien auch ein „Museum unter freiem Himmel“ ­genannt.

Diese reiche Kultur ist immer wieder bedroht. Das wissen die Armenier*innen aus ihrer langen leidvollen Geschichte. Wenn heute der ­türkische Präsident Erdoğan davon spreche, „das zu beenden, was die Vorfahren begonnen hatten“, könnten die Armenier nicht einfach wegsehen. „Und das sollte die Welt auch nicht!“, sagt Vartkes Alyanak, ­Vorsitzender der armenischen Gemeinde zu Berlin. „Es geht nicht um ein Stück Land, es geht um die Existenz eines ganzen Volkes mit langer, aber trauriger Geschichte. Die ­Menschen in Bergkarabach wissen, dass sie diesen Kampf entweder gewinnen werden oder aber das armenische Leben auch in Bergkarabach für immer ausgelöscht sein wird.“

Ende September startete Aser­baidschan einen erneuten Versuch der militärischen Rückeroberung Bergkarabachs, das 1921 gegen den ­Willen der armenischen Mehrheitsbevölkerung von den Sowjets Aserbaidschan unterstellt wurde und sich 1991 im Zuge der Selbstauf­lösung der Sowjetunion von Sowjet-Aserbaidschan für unabhängig ­erklärte. Es war nicht der erste ­Angriffskrieg des postsowjetischen Aserbaidschan auf Bergkarabach. Aber es war der bisher verlustreichste Krieg, sieht man von den Jahren 1992 bis 1994 ab. Bis zu 100000 Karabach-­Armenier, vor allem Frauen und ­Kinder, Alte und Gebrechliche sind aktuell auf der Flucht. Drei Waffenstillstände wurden bisher verletzt. Aserbaidschan beging nach Berichten von „amnesty international“ zahlreiche Kriegsverbrechen, darunter der ­Einsatz international geächteter Streubomben, der Beschuss ziviler Einrichtungen, einschließlich Schulen, Krankenhäuser sowie Kirchen und Wohnhäuser.

Bereits Ende der 1990er Jahre hatte Aserbaidschans Regierung ­armenische Kreuzsteine in ihrer Provinz Nachitschewan zerstören lassen. Deshalb wundert es Katholikos Karekin II. nicht, wenn er einen aserbaidschanischen Offizier auf dem Dach einer armenischen Kirche stehen sieht. Tatenlos muss er schmerzvoll mit ansehen, wie der ­Offizier seine Hände in die Luft hebt und minutenlang, so laut er kann, ruft: „Allahu Akbar.“ Seine Soldaten wiederholen das im Chor. So feiern aserbaidschanische Soldaten ihren Sieg über Armenien im Krieg um Bergkarabach. Deshalb versuchen viele Bewohner Bergkarabachs, noch auf der Flucht die über 800 Jahre alten Kreuzsteine und viele Kirchenschätze aus der Region nach Armenien mitzunehmen.

Aserbaidschan wird von der Türkei unter Präsident Erdoğan unterstützt, der seit Mitte der 2000er Jahre Aserbaidschan offen als „Bruderstaat“ bezeichnet. Die durch die Türkei angeworbenen islamistischen Kämpfer aus Syrien unterstützten Aserbaidschan und ließen den zahlenmäßig unterlegenen Armeniern keine Chance. Anfang November ­befand sich Aserbaidschan kurz vor einem militärischen Sieg über die Truppen von Armenien und die Einheiten von Arzach. 

Waffenstillstand verschleiert wahren Grund des Krieges

Nach sechs­wöchigem Krieg vereinbarten ­Armenien und Aserbaidschan Anfang November einen von Russland vermittelten Waffenstillstand. Der Waffenstillstand verhinderte den vollständigen Zusammenbruch.  Gleichzeitig verschleiert er den wahren Charakter dieses Zermürbungs- und Vertreibungskrieges durch Ascherbaidschan und die ­Türkei und verstärkt die Flucht und Vertreibung der Armenier*innen aus ­Arzach. Wehmütig sagt Arnoush, die als ­Reiseleiterin in Armenien ­arbeitet: „Überall sind dort wunderbare ­Granatäpfel-­Gärten. Aber ­jemand anderes wird nun die Ernte ein­fahren.“

Die Geschichte Armeniens und der Armenier*innen ist tragisch genug. Deutschland hat daran einen historischen Anteil. Auch deshalb darf es jetzt kein Schweigen und Wegschauen geben. Denn der Konflikt um Bergkarabach kann sich auf ganz Armenien ausweiten. Unsere christlichen Geschwister brauchen unsere Solidarität, unsere Gebete und aktuell vor allem politische ­Unterstützung.

Andreas Goetze ist Landespfarrer für ­Interreligiösen Dialog der EKBO.

Zum Bild eines Kreuzsteines:

Die Kreuzstein-Kultur ist das ­spiri-tuelle Erbe Armeniens. Kein Kreuzstein gleich dem anderen. Sie werden „Chatschkare“ genannt, „Kraftsteine“. Ein „Chatschkar“ ist ein zusammengefasstes Glaubens­bekenntnis und zeigt in der Regel drei Wirklichkeitsebenen. Im Zentrum ist das Kreuz als Lebensbaum. Die untere Ebene zeigt das Erdinnere beziehungsweise die Unterwelt. Oben ist der Bereich der himm­lischen Welt. Christus ist derjenige, der die Welten verbindet und ­verwandelt, weil er am Baum des ­Lebens die Früchte des Paradieses, Granatäpfel und Weintrauben teilt – und so den Bedrängten und Verfolgten Hoffnung schenkt: „Heute ist deinem Haus Heil widerfahren …“ In der Schwachheit und Bedürftigkeit eines Kindes im Stall in Bethlehem bricht sich die Erlösung für die Welt Bahn. Und so heißt es in einem armenischen Gebet: „Christus, unser Gott, Behüter und Hoffnung der Gläubigen, bewahre und erhalte dein Volk unter dem Schutz deines heiligen und ehrwürdigen Kreuzes in Frieden.“

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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