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Klimaproteste spalten

Pro und Kontra: Soll die Kirche die „Letzte Generation“ unterstützen?

Die Klimaaktivistin und Angehörige der "Letzten Generation" Aimee van Baalen sprach am 08.11.2022 auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Thema Klimaneutralität und bat um Unterstützung durch die Kirche. Die "Letzte Generation" ist wegen ihrer radikalen Proteste umstritten, darunter Straßennblockaden und Attacken auf Kunstwerke in Museen. Foto: epd-bild/Jens Schulze

Die Diskussionen rund um die Protestformen der „Letzten Generation“ verschärfen sich immer mehr – auch innerkirchlich. Wie weit darf der Protest für eine klima­gerechte Welt gehen? Wie soll sich die Kirche gegenüber der „Letzten Generation“ positionieren? Das fragte die Redaktion Christinnen und Christen aus Kirche, Politik und Gesellschaft

Kirche braucht keinen politischen Fundamentalismus 


Kein Protest benötigt eine Legitimation. Das regelt Paragraph 8 unseres Grundgesetzes. 

Es sind die Gesetze unseres Rechtsstaats, die ­regeln, wie weit die Aktionen gehen dürfen. Die „Letzte Generation“ überschreitet diese Grenzen – zuletzt mit ihrem Protest am Ber­liner Flughafen. Die „Letzte Generation“ ist im Anliegen ­ehrenwert, in der Umsetzung inakzeptabel. ­Salopp würde ich sagen: Nicht erstaunlich, dass die aktivistische EKD mit der radikalen „Letzten Generation“ sympathisiert. Doch „nichts gelernt“ trifft es besser. 

Vergangenes Jahr veröffentlichte die EKD eine Studie zu den Gründen für Kirchenaustritte: 31 Prozent der Austritte seit 2018 sind auf missliche Stellungnahmen der Kirche ­zurückzuführen. Anstatt richtige Schlüsse ­daraus zu ziehen, kommt es auf der EKD-­Synode in Magdeburg nach dem Auftritt einer Aktivistin der „Letzten Generation“ zu ­Standing Ovations. Stehender Applaus für eine Aktivistengruppe, deren Aktionen 86 Prozent der Deutschen als kontraproduktiv für den ­Klimaschutz sehen.

Die EKD-Klimaschutzbeauftragte setzte die Unterbrechungsfunktion der Proteste sogar mit dem Besuch eines Gottesdiensts gleich. ­Gesetzeswidrige Sitzstreiks unter zwanghafter Ein­beziehung Unbeteiligter mit dem sonntäglichen, freiwilligen Gang in die Kirche zu ­vergleichen, dafür braucht es wahrlich mehr Fantasie als den Glauben an die Transzendenz. Doch eben jener scheint den führenden ­Vertretern der EKD in ihrer aktivistischen Positionierung abhanden­gekommen zu sein: der Glaube daran, dass Gott uns erhört. 

Wer sich mit Straftätern gemein macht, schadet nicht nur dem Anliegen des Klimas, sondern auch sich selbst. Die EKD sollte sich auf den Protestantismus, nicht auf den poli­tischen Fundamentalismus besinnen. Sie sollte ihre Mitglieder ermächtigen, nicht belehren.

Clara von Nathusius (26) ist Protestantin und wohnt in Berlin. Nachdem sie an verschiedenen Stationen für die CDU gearbeitet hat, ist sie heute bei Ernst & Young als Beraterin des öffentlichen Sektors tätig. 

 

Gespräch als Zeichen der Demokratie 


Die Äußerung aus der EKD, dass Straßenblockaden akzeptierbar seien, ist zurecht auf Kritik bei vielen Gemeindegliedern gestoßen. Wir alle wollen die Natur schützen und auch in Zukunft möglichst in Einklang mit ihr leben. Klimawandel ist ein sehr wichtiges Thema. Über den besten Weg dazu gibt es natürlich Meinungsverschiedenheiten. Und es gibt Zielkonflikte, die wir nicht einfach ausblenden können, sondern aushandeln müssen. Nur so funktioniert Demokratie. 

Eine Diskussion über die verschiedenen Positionen ist ohne Zweifel sinnvoll und sie ist ­notwendig. Mein Weg war und wird auch in Zukunft nur das Gespräch sein. Ich bin Demokrat. Ich finde es besser, wenn wir im demokratischen Prozess um eine Einigung ringen, anstatt dass einzelne Gruppen diesen Protest durch Blockaden anderen aufzwingen. 

 Eingriffe in den Freiheitsbereich anderer Menschen durch Straßenblockaden sind nicht zu akzeptieren und dürfen auch nicht durch die Evangelische Kirche legitimiert werden. Alle ­müssen sich an die durch Verfassung und Gesetze normierte Rechtsordnung halten. 

Die Kirchen würden einen wichtigen Dienst leisten, wenn sie in der Klimadebatte ihr ­theologisches Profil stärker einbringen würden. Ich glaube, viele Leute warten darauf.

Thomas Rachel ist CDU-Mitglied des Deutschen Bundestages, religionspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundetagsfraktion, Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU und CSU und Mitglied des Rates der EKD. 

 

Die Ungerechtigkeit schmerzt


In all den Jahren der Christenlehre, des Konfiunterrichts und der Gemeindefahrten hat Kirche für mich immer etwas Friedliches ausgestrahlt. Jetzt finde ich mich in einer Welt wieder, in der die Klimakrise vor unseren Augen eskaliert und wir in einer Mischung aus Ohnmachtsgefühl und Verdrängung festhängen. In einer 3 Grad heißeren Welt wird es keinen Frieden mehr geben. Wenn die Sommer immer heißer werden, die Ernten reihenweise ausfallen, Millionen Menschen sterben und Milliarden ihre Heimat verlassen müssen – dann wird unsere Welt in Bürgerkriegen versinken. Das sind gerade die wissenschaftlichen Prognosen und realistischen Aussichten für meine Lebenszeit. 

Kirche hat für mich aber auch immer Hoffnung bedeutet. Mir gibt Hoffnung, dass immer mehr Menschen sich entscheiden, nicht mehr tatenlos zuzusehen. Viele geben gerade ihren ­Alltag auf, sie treten in den zivilen Widerstand. Sie tun es, weil die Ungerechtigkeit so offensichtlich ist und so sehr schmerzt. Dass Menschen jetzt im globalen Süden aufgrund der Klimakatastrophe sterben, obwohl sie am wenigsten dazu beitragen – das ist nicht hinnehmbar. Wir brauchen eine Kirche, die ihre Stimme für all diejenigen erhebt, die nicht gehört werden. Für diejenigen die in den Fluten in Pakistan ihr Leben verloren haben. Für all diejenigen, die jetzt noch zu jung sind, um mitentscheiden zu können. Das größte Risiko ist jetzt zu schweigen. Wir brauchen die Kirche auf unserer Seite. 

Carla Rochel (20) wohnt in Leipzig. Sie hat ihr Studium in Politikwissenschaft und Psychologie abgebrochen, um in den friedlichen Widerstand zu treten. 

 

Keine biblische Fußnote 


Teile ich die Anliegen der „Letzten Generation“? In jeder Hinsicht. Halte ich ihre Protestformen für geeignet? Nur bedingt. Finde ich die aktuellen Diskussionen um die Gruppe in kirchlicher und gesellschaftlicher Öffentlichkeit angemessen? Eher nicht. Ich empfinde sie vielmehr als ­unerträgliche Diskursverschiebung. Als Synodale habe ich den Vortrag der Aktivistin Aimée van Baalen bei der EKD-Herbstsynode in Magdeburg gehört. Sehr eindrücklich hat sie geschildert, warum die „Letzte Generation“ zivilen Widerstand leistet und bewusst in Kauf nimmt, dafür rechtliche Konsequenzen zu tragen. Der Grund ist einfach. Alle Fakten zum menschengemachten Klimawandel liegen auf dem Tisch. Und trotzdem ergreift die Politik viel zu langsam und zögerlich Maßnahmen, um die Erderwärmung zu stoppen. 

Die Frage sollte daher aus meiner Sicht nicht lauten: Wie positionieren wir uns als Kirche gegenüber der „Letzten Generation“? Sondern: Wie gelingt es uns, endlich unserem Auftrag nachzukommen? Denn als Christin bin ich der tiefen Überzeugung, dass die Bewahrung der Schöpfung keine biblische Fußnote ist. Sie gehört vielmehr zu unseren Kernaufgaben. Darüber sollten wir als Kirche sprechen – mit allen, die an dieser Aufgabe ein Interesse haben. Dazu sollte auch gehören, die Verzweiflung der „Letzten Generation“ in das Gespräch mit Entscheidungsträger*innen in Politik und Gesellschaft hineinzuholen – und nicht, die Ohren vor ihrem ­existenziellen Anliegen zu verschließen und sie auszugrenzen.

Friederike Krippner ist Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin und EKD-Synodale der EKBO.

Teil eines Kulturwandels 


Die Wissenschaft sagt, dass der CO2-Ausstoß bis 2030 um 40 Prozent gesenkt werden muss, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Die Ergebnisse der letzten COP-Konferenz führen dagegen zu einem Anstieg des Ausstoßes um 10 Prozent. Angehörige der jüngeren Generation sind ver­zweifelt und wütend: Ältere Politiker*innen treffen Entscheidungen (oder vermeiden sie), deren Konsequenzen sie nicht mehr erleben werden. Sie werden aber die Welt der Jüngeren dramatisch verändern. Die Jüngeren fragen sich viel mehr: Wie weit muss unser Protest gehen, damit wir gehört werden? 

Die „Letzte Generation“ und andere Klimaaktivist*innen nehmen die Tradition des Zivilen Ungehorsams auf. Wer mit ihnen spricht, wird hören, wie umsichtig sie planen, um gewaltlos zu bleiben. Trotzdem verletzen sie bestehende Gesetze und beeinträchtigen andere, wenn Eltern ihre Kinder nicht rechtzeitig abholen können, Medikamententransporte aufgehalten werden und die Polizei gefährliche Einsätze auf der Autobahn leisten muss. Gerichte werden abwägen, wie schwer diese Beeinträchtigungen im Vergleich zu der Gefahr wiegen, auf die die Aktionen hinweisen. In der Vergangenheit haben sie die Motive der Aktivist*innen in ihren Urteilen oft überraschend stark gewürdigt. Als Evangelische Kirche sollten wir in diesem Generationenkonflikt vermitteln. Mit dem Aufruf der EKD-Synode zu einer selbstbestimmten Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf Autobahnen zeigen wir unseren Willen, Teil eines Kulturwandels zu sein, bei dem unsere Welt entschleunigt wird und an dem die Aktivist*innen konstruktiv mitwirken können. 

Frank Schürer-Behrmann ist Superintendent im Kirchenkreis Oderland-Spree und EKD-Synodaler der EKBO.

 

Mut haben, radikal für Klimaschutz einzutreten 


Die Klimakatastrophe ist mehr und mehr Realität. Die nötigen Maßnahmen, um eine weitere ­Erderhitzung zu vermeiden, dürfen nicht mehr verdrängt und verschoben werden. Daher ­verstehe ich, dass die Klimaaktivist*innen sagen, wir wollen mit den Aktionen wachrütteln. Der Schutz des Lebens steht auch für die Aktivist*innen ganz vorn – keine Straßen-Blockade ohne die Möglichkeit, eine Rettungsgasse zu bilden. Der Angriff auf Kulturgüter ist aus meiner Sicht völlig ungeeignet. Den Hinweis, dass durch die Klimakatastrophe Kultur, Menschenleben und Artenvielfalt auf der Erde zerstört wird, den sollten wir als Gesellschaft allerdings endlich wahrnehmen. Doch der Bruch von Verordnungen, etwa durch Blockade von Straßen, wird nicht legal, nur weil er ein gutes Anliegen verfolgt. 

Klimaschutz und Klimagerechtigkeit sind Menschheitsaufgaben, wir können sie nur gemeinsam bewältigen. Deswegen braucht es immer wieder Gespräche, damit keine Gräben entstehen. Wir als Kirche können Räume dafür zur Verfügung stellen. So laden wir etwa am 12. Dezember in die ­Genezareth-Kirche in Berlin-Neukölln zu einer Diskussion zwischen Politik und Scientist Rebellion ein. Aus Vertrauen auf den, der die Schöpfung schuf und bewahrt, sollten wir Mut haben, radikal für den Klimaschutz einzutreten. Aus Vertrauen und Mut, nicht aus Angst. Und der Mut der Klima-aktivist*innen beeindruckt mich.   

Christian Stäblein ist Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

Veranstaltungstipp

Wie radikal muss Klimaschutz sein? Zwischen Verzweiflung und Realpolitik. Tempolimit 100, 9-Euro-Ticket für alle – Klimaaktivist*innen fordern eine schnelle Verkehrswende. Doch was lässt sich realpolitisch umsetzen? Und nutzen Proteste dem Klimaschutz oder schaden sie dem Thema? Wie können wir als  Gesellschaft beim Klimaschutz vorankommen? Diskussion mit Bettina Jarasch, Senatorin für Umwelt,  Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz in Berlin; Simon Teune, Soziologe mit Schwerpunkt Protest- und Bewegungsforschung; Nana-Maria Grüning, Biologin und Mitglied bei Scientist Rebellion; Bischof Christian Stäblein. Moderation: Kirsten Dietrich, freie Journalistin.

Montag, 12. Dezember, 19.30 Uhr, Genezarethkirche, Berlin-Neukölln.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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