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Koordinierte Hilfe für die Ukraine

Bar, digital oder per Päckchen: Mario Göb organisiert für die Diakonie Katastrophenhilfe die Hilfe für die Ukraine. Katharina Körting sprach mit ihm.

Mario Göb von der Diakonie Katastrophenhilfe in der Ukrain
Mario Göb in der Ukraine bei Hilfsbedürftigen

„Viele haben gar nichts mehr“

Herr Göb, wir sprechen in Ihrem Büro in Berlin-Mitte in einem schicken Neubau, gut geheizt, satt vom Mittagessen im hauseigenen Restaurant. Da scheinen Kälte und Hunger weit weg.

Für mich nicht. Ich war gerade in der Ukraine, und das prägt nachhaltig.

 

Seit wann koordinieren Sie die Winterhilfe dort?

 

Ich habe gerade erst angefangen. Im November war ich direkt eine Woche in Polen und eine Woche in der Ukraine. Zuerst vier Tage im Westen, im ukrainischen Uszgorod. Das ist ein wichtiger Standort für uns, weil die Hilfsgüter, die wir per Konvois in die Ukraine transportieren, dort abgeladen, individuell verpackt und weiter verteilt werden.

 

Was muss in die Päckchen ?

 

Was packen Sie in die Pakete?

 

Vor allem Nahrungsmittel, aber auch Hygieneartikel wie Zahnbürsten, Zahnpasta oder Damenbinden. Und wenn Babys in der Familie sind, gibt es eine extra Komponente. Es gibt dort zwei große Lagerhallen mit insgesamt 18 Leuten, die dort agieren – das war eine Riesenoperation. In Uszgorod ist es noch verhältnismäßig ruhig, viele haben dort Zuflucht gesucht, auch Mitarbeitende unserer Partnerorganisation „Vostok SOS“, die sich 2014 gegründet hat. Sie sitzen eigentlich in Donezk, im Osten des Landes, aber nach dem Einmarsch Russlands im Februar mussten sie fliehen. Der „Child Well-being Fund“ ist eine weitere ukrainische Organisation, mit der wir zusammenarbeiten.

 

Sie waren auch in Kiew. Wie geht es den Menschen dort?

 

Es ist eine ganz andere Anspannung zu spüren als in Uszgorod. Wir sind mit dem Nachtzug eingerollt, und zwei Minuten, bevor der Zug zum Stehen kam, ging der Luftalarm los. Da es am Bahnhof nicht sicher war, blieb uns nichts anderes übrig, als durch die dunklen Straßen zum Hotel zu fahren. Der erste Schnee fiel und es ist jetzt schon bitterkalt. Auch im Hotel war alles dunkel, wir sind sofort in den Bunker gegangen, eine umfunktionierte Tiefgarage. Da saßen wir dann mit etwa 80 anderen. Einige haben kurzerhand ihre Konferenz im Bunker fortgeführt. Es muss ja weitergehen, die Arbeit muss weitergehen. Die Leute wollen, dass ihr Land weitergeht!

 

Hatten Sie Angst?

 

Ja, Angst hat man natürlich auch. Es hilft, wenn man etwas tun kann. So geht es auch den Ukrainern. Wer Arbeit hat, kommt besser mit der Situation zurecht. Schwieriger ist es für die, die keine Arbeit haben, vor allem für die Geflüchteten. Es ist schwer, eine Arbeit zu finden. Die Arbeitslosenquote ist von 10 auf 35 Prozent gestiegen. Das geht einem dann emotional sehr nahe. Nach acht Monaten sind deren Ersparnisse aufgebraucht. Viele der 6,8 Millionen Binnengeflüchteten haben nichts zu essen, keine Wärme, keinen Strom. Sie sind traumatisiert. Was mich als Vater mitgenommen hat, war der Besuch bei einer Mutter mit Baby. Es trug so ein flauschiges Hasenkostüm, weil es in der Wohnung recht kalt war, und die Mutter erzählte von einem Artilleriefeuer, das die Fenster im Nachbarzimmer zerbersten ließ. Da war sie noch hochschwanger. In der Wand sahen wir die Löcher von den Splittern. Sie hielt den Jungen im Arm, und um ihn zum Lachen zu bringen – ich habe auch ein kleines Baby –, klatschte ich mit den Händen. Aber der Junge zuckte zusammen. Die Mutter erklärte mir, dass er sehr lärmempfindlich sei.

 

Wie sind die Menschen untergekommen?

Manche harren bei minus 10, minus 15 Grad auf der Straße aus. Vor der Ausweitung des Krieges auf das gesamte Land gab es in der Hauptstadt 20000 Obdachlose, jetzt sind es 40000, allein in Kiew. Aber die meisten sind in Privathäusern, in umfunktionierten leerstehenden Gebäuden oder Turnhallen untergebracht.

 

Wer bekommt die Päckchen?

 

Da gehen Sie dann hin und übergeben die Päckchen?

 

Es gibt verschiedene Formen der Hilfe. Da ist der Hilfskonvoi mit Lebensmittelpaketen. Und es gibt es Geldleistungen. Die Ukraine ist hochdigitalisiert, da bekommen die Leute eine Karte, mit der sie in einer Supermarkt-Kette einkaufen können. Sie können also selbst entscheiden, da jede Familie am besten weiß, was sie benötigt.

 

Funktioniert der Strom für die Kartenzahlung denn noch?

 

Das ist natürlich ein Riesenthema, weil die Angriffe auf die Infrastruktur immer intensiver werden. Es gibt drei, vier Stunden Strom, den Rest der Zeit nicht. Da sitzt man dann im Dunkeln im Büro, mit einer Taschenlampe, und arbeitet sich durch die Dokumente durch. Die Heizung ist elektrisch gesteuert, also bleibt die Wohnung kalt. Eine Kollegin dort wird seit Wochen ihren Husten nicht los. Und viele haben halt gar nichts mehr. Denen helfen wir.

 

Wie wird das alles finanziert?

 

Was kostet das Ganze?

 

Für das Geldleistungsprojekt mit den Karten steht eine Million Euro zur Verfügung. Damit erreichen wir 1880 Familien, das sind rund 4700 Personen. Die Registrierung ist jetzt abgeschlossen. Die Menschen bekommen ihren Zugang und können einkaufen gehen.

 

Wir haben weitere Winterhilfeprojekte, etwa Luftschutzbunker für die Schulen. Die sind jetzt vorgeschrieben. Normalerweise müssen die Kinder in feuchte, kalte Keller, und da helfen wir bei der Ausstattung, mit Fußböden, Decken, Sitzmöglichkeiten. Wiederum mit einer Million Euro. Ein weiteres Projekt unterstützt bei der Einrichtung von Wärmestuben.

 

Hilft die Diakonie Katastrophenhilfe auch Geflüchteten außerhalb der Ukraine?

 

Ja, in den Anrainerstaaten. In Polen ist unser größtes Cash-Projekt.  Dabei erfolgt der Transfer digital übers Handy oder in bar. Dorthin sind zwölf Millionen Euro geflossen. Wir haben fast 20.000 Leute erreicht.

 

 

Gibt es auch schon Hungertote?

 

 

Ist Ihnen bekannt, dass Menschen bereits verhungert oder erfroren sind infolge des Infrastrukturkrieges, den Wladimir Putin führt?

 

Das weiß ich nicht, aber die Lage ist ernst, und das droht auf jeden Fall. Es ist schwer, Zugang zu Orten zu finden, die gerade erst befreit wurden, auch wenn wir nicht allein sind. Viele Hilfsorganisationen sind vor Ort. Allerdings ist die Lage, was Hunger betrifft, in anderen Ländern, um einiges schlimmer, etwa in Somalia oder im Südsudan.

 

Spenden in Deutschland mehr Menschen für die Ukraine als für die Länder in Afrika?

 

Ich glaube ja. Dadurch, dass die Krise direkt vor unserer Haustür stattfindet, mitten in Europa, gibt es eine sehr große Solidarität und Spendenbereitschaft. Über die Ukraine wird auch in den Medien viel mehr berichtet. Leider hat die Ukraine-Krise jedoch auch enorme globale Auswirkungen. Sie verschärft den Hunger in Ostafrika. Wir bitten um Spenden für die Ukraine – möchten jedoch ebenso, dass Afrika dabei nicht vergessen wird. Nach UN-Schätzungen werden 2023 weltweit 339 Millionen Menschen auf Nothilfe angewiesen sein – ein trauriger Rekord.

 

Fühlen Sie sich manchmal ohnmächtig angesichts der großen Not?

 

Ich denke, dass viele Menschen in Deutschland eine gewisse Ohnmacht spüren. Die Situation ist verfahren. Aber wir sind nicht handlungsunfähig. Wir können konkret helfen. Die Hilfsmaßnahmen haben direkte ­Auswirkungen auf das Leben einer Familie. Sie sitzen mit ihren Kindern im Dunkeln, Vater krank, keine Arbeit – und sie bekommen erstmal Geld, um zu überleben. Dafür sind wir angewiesen auf Spenden. Auch wenn der Krieg vorbei ist, wird die Ukraine noch lange Unterstützung brauchen, und die Diakonie Katastrophenhilfe wird sich auch langfristig im Wiederaufbau engagieren.

 

Wo holen Sie sich Ihre Hoffnung?

 

Was macht Ihnen Hoffnung?

 

Der Zusammenhalt. Die Leute stehen zusammen. Auch die Hilfe, die die Menschen in Polen leisten, macht mir Hoffnung. Dort ist die Diakonie Polen unsere Partnerin, und die Polen haben über Nacht ihre Türen für Geflüchtete geöffnet. Die Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit machen mir Hoffnung, auch auf der Ebene der Hilfsorganisationen: Wir sind alle gemeinsam drin. Die Ukraine steht nicht allein da. Sie wird von uns allen unterstützt. Global gesehen rücken wir alle näher zusammen. Und ich hoffe auf Friedensverhandlungen. Das ist die einzig mögliche Lösung. Die muss kommen, und die wird auch irgendwann kommen.

 

 

Mario Göb koordiniert die Winterhilfe in der Ukraine und war im November vor Ort. Er hat einen Bachelor in Geografie und einen Master im Bereich Water, Sanitation and Hygiene. Er arbeitete zunächst vier Jahre in Honduras, bevor er anderthalb Jahre den Kriegsgeflüchteten in jordanischen Lagern beistand. Seit 2017 ist er bei der Diakonie Katastrophenhilfe im Projekt-Management und in der Programmkoordination tätig, fünf Jahre für den Sudan und Südsudan und seit November für die Ukraine.

 

 Hier können Sie spenden:

Die Diakonie Katastrophenhilfe bittet um Spenden:

Diakonie Katastrophenhilfe

Evangelische Bank

IBAN: DE68 5206 0410 0000 5025 02

BIC: GENODEF1EK1

Stichwort: Ukraine-Krise

www.diakonie-katastrophenhilfe.de/spenden/

 

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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