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Kuriere von West nach Ost

Teil 2: Wie die Landeskirche auf die gewaltsame Trennung durch den Mauerbau reagierte

Der frühere Berliner Bischof Otto Dibelius (1880–1967) war von 1949 bis 1961 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Kirchenhistoriker bescheinigen dem Theologen einen prägenden Einfluss auf den Weg seiner Kirche in der Nachkriegszeit. Sein Lebenswerk besteht im Einsatz für eine vom Staat unabhängige Kirche. Das Bild entstand während des Evangelischen Kirchentages 1959 in München. Foto: Hans Lachmann/epd

Von Karl-Heinrich Lütcke und Ingemar Pettelkau

Die Mauer zerschnitt am 13. August nicht nur die Stadt Berlin, sie zerschnitt die Verbindungen zwischen Familien und Freunden – und sie ging auch mitten durch die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg, auch mitten durch Berliner Kirchengemeinden, wie die Jakobi-, die Versöhnungs- und die Thomasgemeinde in Berlin-Kreuzberg. Die 3000-Gemeindeglieder der Thomas-Gemeinde, die im Ostsektor wohnten, konnten ihre Kirche nicht mehr besuchen. Die im Westsektor Wohnenden stellten sich anfangs nach dem Gottesdienst auf die Straße und winkten herüber zu ihren ­Schwestern und Brüdern, die auf den Balkonen am heutigen ­Engeldamm standen. 

Auch auf Kirchenkreisebene ­ergaben sich Probleme, denn die Kirchenkreisgrenzen stimmten nicht mit den politischen Grenzen überein. Gemeinden der Kirchenkreise Neukölln (2), Zehlendorf (8), Reinickendorf (7) und Spandau (3) lagen in der DDR. Innerstädtisch waren ­Gemeinden in den Kirchenkreisen Stadt II (4), Kölln Stadt (2), Stadt III (5) und Friedrichswerder (2) von der Abriegelung betroffen und mussten anderen Kirchenkreisen zugeordnet werden. Die meisten damaligen Eingriffe sind nach der Wiedervereinigung zurückgenommen worden. Am schmerzlichsten hat es wohl die Thomasgemeinde getroffen, als ihr die Rückgabe ihres Gemeindeteils ­direkt vor ihrer Haustür zugunsten der weit entfernten Gemeinde St. Petri-St. Marien verwehrt wurde.

Bischöfe reagierten schnell

Während der Ferienzeit 1961 hielten sich DDR-Bürger über Westberlin auch illegal in der BRD auf. Sie mussten jetzt entscheiden, ob sie wieder in die DDR zurückkehren wollten. Familien wurden so auseinander­gerissen. Den „friedlichen“ Bürgern von Westberlin aber wurde in der Bekanntmachung des Innenministeriums der DDR vom 12. August zugesagt, sie könnten gegen Vorlage ihres Westberliner Personalaus­weises die Übergangsstellen in den demokratischen, also dem östlichen Teil Berlins passieren. DDR-Bürger bedurften dafür einer Genehmigung. Damit war auch klar, gegen wen sich die Grenz­sperrung eigentlich richtete. Von „friedlichen“ Bürgern Westberlins war bald nicht mehr die Rede, so dass nur noch Bürger Westdeutschlands an vier Übergangsstellen gegen Vorlage des Personalausweises eine Tages-Aufenthaltsgenehmigung beantragen durften. 

Die Evangelische Kirche reagierte schnell. Am 14. August schrieben Bischof Otto Dibelius und Propst Kurt Scharf einen seelsorgerlichen Brief an die Gemeinden. Sie riefen dazu auf, sich nicht in Bitterkeit und Hass zu verlieren, sondern erfinderisch zu sein „an Mitteln und Wegen, einander diese Liebe zu erzeigen“. Am 16. August richteten in der DDR wohnhafte Vertreter der EKD und der Berlin-Brandenburger Kirche, der pommersche Bischof Friedrich-Wilhelm Krummacher, Propst Kurt Scharf, Präses Fritz Figur und der Berliner Generalsuperintendent Fritz Führ,  angesichts der menschlichen Tragödien Telegramme an Walter Ulbricht und den Magistrat mit der Bitte, die Absperrung der Menschen wieder aufzuheben. Der Magistrat lud die Bittsteller zu Beschimpfungen vor. Die DDR-Regierung antwortete nicht.

An fünf Tagen hintereinander, vom 28. August bis zum 1. September, hielt Bischof Dibelius in der Kirche am Südstern seine „Reden an eine gespaltene Stadt“. Sie waren keine Predigten, aber wollten in der angespannten Situation Mut machen und Orientierung geben.

Folgen für die ­kirchenleitende Arbeit

Organisatorisch war die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg auf den Mauerbau vorbereitet. Nach dem Chruschtschow-Ultimatum vom November 1958, das Westberlin innerhalb von sechs Monaten zu einer entmilitarisierten Freien Stadt auf dem Territorium der DDR machen sollte, war am 18. Juni 1959 eine Notverordnung beschlossen worden für den Fall, dass gemeinsame ­Tagungen der Synode nicht mehr möglich wären. Nun war der Fall eingetreten. 

Die für die gesamte Landeskirche gewählten Leitungsgremien konnten nicht mehr zusammenkommen und mussten getrennt tagen. Dem Bischof war bereits vor dem 13. August 1961 der Zugang zum Kirchengebiet Brandenburg verweigert worden. Aber die Kirchenleitung war handlungsfähig. Die Mehrheit ihrer 19 Mitglieder wohnte in Ostberlin oder im Kirchengebiet Brandenburg. So konnte sie sowohl am 17. als auch am 24. August tagen. Den Vorsitz in der Kirchenleitung hatte laut Grundordnung nunmehr als Stellvertreter des Bischofs der Synodalpräses Figur, der Superintendent in Köpenick war und jetzt zeitweise zusätzlich bischöfliche Aufgaben wahrnehmen musste. In Westberlin wurde die Beschlussfähigkeit durch Hinzuziehung der Ersatzmitglieder ermöglicht, bis auf der nächsten Synodaltagung 1962 eine Neuwahl stattfand.

Als eine der ersten Maßnahmen bestellte der Ost-Teil der Kirchen­leitung Kurt Scharf, Propst im ­Konsistorium und Vorsitzender des Rats der EKD, zum Verweser des ­Bischofsamtes in dem für Bischof ­Dibelius nicht mehr erreichbaren ­Kirchengebiet. Scharf konnte diese Funktion aber bald nicht mehr ausüben und so musste Präses Figur ­bischöfliche Funktionen im Osten wahrnehmen. 

Scharf war am 31. August 1961 eine auf 30 Tage befristete Ausreisegenehmigung erteilt worden, um in Westberlin Dienstgeschäfte wahrzunehmen. Bei seiner Rückkehr am Abend wurde seine Wiedereinreise verweigert und sein DDR-Personalausweis einbehalten. Begründet wurde dies mit zwei Lügen: Scharf habe gegen eine Anordnung vom 15. August 1961 verstoßen, weil er neben dem DDR-Ausweis einen Westberliner Ausweis behalten habe. Scharf besaß einen solchen Ausweis seit 1951 nicht. Außerdem sei er ja in einem Telegramm vom 16. August an die Regierung für Familienzusammenführungen eingetreten. Die habe er nun, weil seine Familie in Steglitz in Westberlin wohne. Verschwiegen wurde, dass der Magistrat mehrfach eine Zuzugsgenehmigung für die Familie nach Ostberlin abgelehnt hatte.

Dennoch verstand sich die Kirche weiterhin als eine geistliche Einheit. Als die Wahl eines Nachfolgers für Bischof Dibelius anstand, war klar, dass ein gemeinsamer Bischof gewählt werden sollte. In getrennten Sitzungen, aber zum gleichen Zeitpunkt wählten die Synoden Ost und West den bisherigen Propst für Berlin-Brandenburg, Kurt Scharf, zum Bischof. Weil er das Bischofsamt in der Ostregion wegen des Einreiseverbots nicht ausüben konnte, wurden Bischofsverwalter eingesetzt. Erst 1972 wurde nach Änderungen der Grundordnung Albrecht Schönherr, der schon seit 1967 das ­Bischofsamt verwaltet hatte, zum ­Bischof für die Ostregion gewählt.

Auch das Konsistorium war auf die Trennung vorbereitet. Schon seit 1952 gab es Dienstgebäude des ­Konsistoriums in beiden Teilen der Stadt, obwohl der Hauptsitz in Westberlin lag und dort auch das Kollegium des Konsistoriums tagte. Die Mehrheit der hauptamtlichen Kollegialmitglieder wohnte aber in Ostberlin oder im Brandenburger Umland und arbeitete am Ostberliner Standort in der Neuen Grünstraße. Da Bischof und Konsistorialpräsident in Westberlin wohnten, musste zunächst Oberkonsistorialrat Erich Andler als Theologe das Kollegium im Osten leiten.

Das Sprachenkonvikt, das eigentlich nur für eine Teilausbildung des theologischen Nachwuchses im Verbund mit der Kirchlichen Hochschule in Westberlin konzipiert war, musste nun zu einer völlig selbstständigen Hochschule der Kirche ausgebaut werden. Auf gesamtdeutscher Ebene war auch die Gründung des Bundes Evangelischer Kirchen in der DDR (BEK) im Jahr 1969 eine Folge der politischen Entwicklungen nach dem Mauerbau. 

Verbindungen bleiben zwischen Ost und West

In den Jahren nach dem Mauerbau war die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg bemüht, ihre Einheit aufrecht zu erhalten. In der Anfangszeit waren es vor allem Kuriere aus westdeutschen Kirchen, die mit ihrem westdeutschen Pass zu Tagesbesuchen einreisen konnten und so Nachrichten aus beiden Teilen überbrachten und Absprachen zwischen ihnen ermöglichten. Denn Telefonkontakte waren nicht möglich. Der spätere Prenzlauer Superintendent Klaus-Heinrich Kanstein erzählte, wie der westfälische Präses Ernst Wilm am Rande der Ordination fragte, wer bereit sei, eine Kurieraufgabe wahrzunehmen. Mit am Körper versteckten Kassibern brachte er Nachrichten aus der Ost- in die West-Kirchenleitung und umgekehrt. 

Über Jahrzehnte wirkte Pfarrer Paul-Gerhardt Kunze als Kurier zwischen beiden Kirchenleitungen. Er übernahm später auch die Leitung der Hilfsstelle westdeutscher Kirche, über die der Transfer von Finanzmitteln zur Unterstützung im Osten geregelt wurde. Kirchenleitungs- und Kollegialmitglieder besorgten sich teilweise auch Pässe der BRD, um nach Ostberlin einreisen zu können.

Auf diese Weise war dafür gesorgt, dass beide Teile unserer Landeskirche immer voneinander wussten, Anteil nehmen und sich abstimmen konnten. Als wieder Tagesbesuche auch von Westberlinern möglich waren, trafen sich auch die Mitglieder des Kollegiums regelmäßig mit dem jeweiligen Fachkollegen oder der Fachkollegin in der Neuen Grünstraße in Ostberlin und beförderten auch auf diesem Wege den ­Informationsaustausch. 

So war nach dem Fall der Mauer die Verständigung über den gemeinsamen Weg sehr erleichtert, auch wenn es durch alle Jahre der Trennung hindurch nicht immer leicht war, Entwicklungen in der Kirche auf der jeweiligen anderen Seite nachzuvollziehen. Wir sind überzeugt, dass diese Verbindungen hilfreich waren auch für die Aufgabe, wieder einheitliche Strukturen und Rechtsordnungen zu schaffen. Das  wäre sicher ohne die Vorgeschichte sehr viel schwieriger geworden.

Oberkonsistorialrat a.D. Ingemar Pettelkau war 1961 Jura-Student an der FU Berlin und wohnte in Ostberlin. 

Der damalige Propst Kurt Scharf warb ihn für die Kirche. Der 13. August 1961 wurde zum Start seiner Juristen-Laufbahn in der Landeskirche. 

Propst a.D. Karl-Heinrich Lütcke war 1961 in Tübingen Vertrauensstudent der Evangelischen Studentengemeinde und fuhr in dieser Eigenschaft mit anderen Ende des ­Jahres 1961 nach Berlin, auch, um dort Studenten der Thüringer Partner-ESG zu treffen.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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