Von Uli Schulte Döinghaus
Am Anfang war die Kirchenjule. Den Spitznamen hatte die Kaiserin Auguste Victoria (1858–1921) weg. In und um Berlin gab sie den Anstoß dafür, dass Kirchengemeinden gegründet und neue Kirchen gebaut wurden. Äußerst konservativ und streng protestantisch war die Ehefrau des preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm II. – und in diesem Sinne initiierte sie rund 100 Neubauten von Kirchen, meist im neugotischen Stil, in Berliner Arbeiterquartieren und Vororten.
Ohne ihre Initiative hätte es vermutlich sehr viel länger gedauert, bis auch die Kirchengemeinde in Erkner südöstlich von Berlin ein eigenes Gotteshaus bekam. Mit Hilfe der Kaiserin konnte vor 125 Jahren, am 24. Oktober 1897, die Genezareth-Kirche in Erkner eingeweiht werden. Die damalige 3500-Seelen-Gemeinde Erkner war das Zentrum der deutschen Teerfabrikation (deren Industriegase seltsamerweise als gesundheitsfördernd galten), etwas später kam die Produktion des frühen Kunststoffes Bakelit hinzu. Heute leben in Erkner rund 12000 Bürgerinnen und Bürger rund um die Genezareth-Kirche, die ziemlich genau im Stadtzentrum liegt.
Lebendiger Platz für Kirche und Stadt
Wie sehr die Erkner Stadtgesellschaft mit ihrer Kirche bis heute verbunden ist, zeigte sich während einer monatelangen Auseinandersetzung um den Kirchenvorplatz. Es galt, eine mehrstufige Treppe zu ergänzen oder zu ersetzen. Um die Entwurfsplanungen entbrannten Meinungsverschiedenheiten, die zuletzt, schiedlich, friedlich in einem Kompromiss mündeten, mit dem die Stadtgesellschaft leben kann.
So entstand ein lebendiger Platz, der Kirche und Stadt noch enger verbindet. Hier wurde neulich auch eine Portraitbüste für Gerhart Hauptmann eingeweiht, der sich als junger Mann vier Jahre in Erkner aufhielt – und hier seinen „Bahnwärter Thiel“ und das Drama „Vor dem Sonnenaufgang“ schrieb. In beiden Werken ließ er sich da oder dort vom kirchlichen Leben in und um Erkner inspirieren, heißt es.
Auf gute Nachbarschaft
Als Eignerin des dazugehörigen Genezareth-Gotteshauses achtet die Evangelische Kirchengemeinde Erkner bis heute „auf gute Nachbarschaft“. Sie war vor einiger Zeit auch Motto eines Empfangs für Bürger und Repräsentanten aus Erkner.
Am vergangenen Wochenende feierten Kirchengemeinde und Stadt das 125-Jahre-Jubiläum ihrer Genezareth-Kirche mit Gottesdienst, historischem Vortrag, Musik und Geselligkeit bei Kaffee und Kuchen. Am Sonntag gab es zum Anlass des Jubiläums einen Festgottesdienst mit Predigt von Bischof Christian Stäblein. „Über die Resonanz bin ich sehr glücklich“, sagte Martin Vahlenkamp, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates, der „Märkischen Oder-Zeitung“. „Viele Menschen haben gezeigt, dass ihnen die Kirchengemeinde mitten in Erkner wichtig und die Kirche Teil der Stadtgeschichte ist.“
18 Monate Bauzeit
45 Meter hoch über der Stadt reckt sich ein Turm, der am Ende des Zweiten Weltkrieges nur noch eine zerstörte Kirche überragte. Unter Mühen konnte das Gotteshaus in den 1950er Jahren wieder aufgebaut werden. Die Schäden am Turm wurden bis 1999 beseitigt. Auch an seine gefiederten Bewohner – Dohlen und Falken – wurde gedacht. Für sie wurden in der Holzwerkstatt des Diakonischen Werkes in Neuzelle sechs Kästen angefertigt und in den Turmgauben als Nisthilfen eingebaut. Turm und Kirchenschiff, gefertigt aus Rüdersdorfer Kalkstein und Backstein, wurden vor 125 Jahren in rekordverdächtiger Geschwindigkeit errichtet. Nach nur 18-monatiger Bauzeit und einem Jahr nach dem Richtfest wurde die Genezareth-Kirche am 24. Oktober 1897 eingeweiht. Am Festgottesdienst nahmen Kaiserin Auguste Viktoria und der Hohenzollern-Prinz Friedrich Heinrich teil. Generalsuperintendent Ernst Dryander habe in seiner Predigt den Wunsch geäußert, dass „durch dieses Haus allezeit der Geist Gottes wehen und ihm nie sein schönster Schmuck – die Gemeindemitglieder – fehlen möge“, so steht es in der Gemeindechronik.
Zahlreiche kirchliche Angebote
Der Wunsch des Theologen ist einigermaßen in Erfüllung gegangen. Ausweislich des Evangelischen Gemeindebriefes des Pfarrsprengels Oderland-Spree-West, zu dem die Genezareth-Kirchengemeinde mit 1200 Kirchenmitgliedern in Erkner gehört, gibt es zahlreiche kirchliche, kulturelle und diakonische Angebote für Jugendliche, Familien und Senioren – das zeigen auch die Kandidaturen für die nächste Gemeindekirchenratswahl am 13. November, in denen die „Lebendigkeit und Vielfalt der Gemeinde“ betont wird.