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Mehr als Interessenvertretung

Anne Gidion ist das neue Gesicht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin. Als Bevollmächtigte der EKD vertritt sie gegenüber Regierung und Parlament die Interessen ihrer Kirche und ist zugleich Seelsorgerin für Abgeordnete und Regierungsmitglieder. Am 21. Oktober wurde Anne Gidion offiziell ins Amt eingeführt. Mit Corinna ­Buschow vom Evangelischen Pressedienst (epd) spricht sie über die aktuellen Herausforderungen für die Kirche, über Staatsleistungen und Pazifismus und warum sie sich als Frau einen Lutherrock schneidern lässt.

Anne Gidion wurde am 21. Oktober mit einem Gottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche ins Amt der Bevollmächtigten der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eingeführt. Foto: Hans Scherhaufer/epd

Anne Gidion, Sie sind die neue Diplomatin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Berliner Regierungsviertel. Wie fängt man so eine Stelle an?

Ich habe das Glück, anknüpfen zu können. Ich habe schon einmal an einem 1. Oktober – im Jahr 1999 – in diesem Haus meinen Dienst begonnen, damals als Referentin des EKD-Bevollmächtigten Stephan Reimers. Bei allem, was sich in den genau 23 Jahren verändert hat, gibt es also auch ein Element von Wieder­erkennung. Das hilft.

Sie sind die erste Frau in diesem Amt. Ist das noch eine Erwähnung wert?

Ich finde es zumindest ganz schön, dass jetzt überall „die Bevollmächtigte“ steht. Die entscheidende Qualifizierung für das Amt liegt aber natürlich nicht in meinem Geschlecht, sondern in meiner Vita und den Fähigkeiten, die ich mitbringe.

Bei Ihrer Berufung haben Sie gesagt, die evangelische Kirche werde sich „gesamtgesellschaftlich neu positionieren müssen“. Wie meinen Sie das?

Ich schlage noch einmal den Bogen zu 1999: Damals zog die ­Bonner Republik nach Berlin. Man hatte die mythische Vorstellung, es würde evangelischer werden – auch durch den politischen Drive, den die evangelische Kirche in die Wiedervereinigung gebracht hatte. Diese Protestantisierung des öffentlichen Lebens ist nicht eingetreten. Vielmehr ist alles bunter und diverser geworden.

Ist Kirche also unter all den Organisationen, die in Berlin Einfluss nehmen wollen, nur noch eine unter vielen oder macht sie etwas Besonderes aus?

Die evangelische Kirche darf den politischen Raum betreten, sie ist mehr als eine Interessenvertretung. Mit den politisch Handelnden ist sie auf unterschiedlichen Ebenen im ­direkten Kontakt, auch durch die Andachten im Bundestag und durch das Angebot seelsorgerlicher, vertraulicher Gespräche.

Immer weniger Menschen – und damit auch Abgeordnete, Staatssekretäre und Ministerinnen –gehören einer Kirche an. Kanzler Olaf Scholz und mehrere Kabinettsmitglieder verzichteten auf die religiöse Formel beim Amtseid. Schmerzt Sie das?

Daran hängt es für mich nicht. Es gibt auch Christinnen und Christen, die diese Formulierung nicht ­be­nutzen. Ich finde es wichtiger, mit den Politikerinnen und Politikern verschiedener Couleur ins Gespräch zu kommen und dabei auch darüber zu reden, was sie trägt.

Sie haben also keine Befürchtung, im Zweifel auch Kanzler Olaf Scholz von Ihrer Position überzeugen zu können?

Ich freue mich jedenfalls, mit Kanzler Scholz an Gespräche aus Hamburger Zeiten anknüpfen zu können. Ich habe es bislang so ­erlebt, dass die Politik dankbar ist für den Beitrag der Kirche zum ­gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Die Kirchen – auch die evange­lische – verlieren durch die Glaubwürdigkeitskrise im Zusammenhang mit Fällen sexualisierter Gewalt an Rückhalt. Wie sehr ist das eine Last für Ihre Arbeit?

In unserer Kirche wurde Menschen Unrecht angetan und Leid ­zugefügt. Das schmerzt mich zutiefst. Verlorenes Vertrauen zurück­zu­gewinnen, ist ein langer Prozess. Dazu gehört, dass wir die Menschen, denen im Raum unserer Kirche Leid angetan wurde, hören und unterstützen. In der EKD haben wir ein neues Beteiligungsforum etabliert, um die verbindliche Mitwirkung von Betroffenen bei Aufarbeitung und Prävention sicherzustellen. Die ­Mitarbeit dort ­gehört zu meinen Aufgaben und ist eine wirklich ­wichtige.

Sie beginnen Ihr Amt aber auch in einer politisch schwierigen Zeit: Durch den Krieg in der Ukraine wird auch in Deutschland auf­gerüstet und gleichzeitig haben viele Menschen existenzielle ­Sorgen durch die hohen Energiepreise. Welche Rolle werden Sie als Stimme der evangelischen Kirche in diesen Debatten einnehmen?

Das Thema treibt mich natürlich um und deswegen werde ich den Gottesdienst zum politischen Buß- und Bettag im Berliner Dom unter das Thema „Wärme“ stellen. Mir geht es darum, zu fragen, wie man mit ­Zusammenrücken, offenen Türen, wachsamer Wahrnehmung die­jenigen unterstützen kann, die im Winter frieren werden – sowohl von politischer Seite als auch vonseiten der Kirchen.

Und das Thema Waffenlieferungen? Die evangelische Kirche ist seit dem Ukraine-Krieg in einer neuen friedensethischen Auseinandersetzung. Wo stehen Sie?

Wir brauchen keine neue ­Friedensethik. Was bislang für die evangelische Kirche galt, hat seine Gültigkeit nicht verloren. Wir ­müssen aber unsere Grundsätze über den gerechten Frieden und die Rechtfertigung von Gewalt­anwendung neu buchstabieren unter den Bedingungen eines in die Nähe ­gerückten Krieges.

Ist Pazifismus damit out geworden?

Es muss auch die radikalpazifistische Position geben, weil das zur christlichen DNA gehört. Unsere Gründerfigur Jesus sagt nun einmal „Selig sind die Friedfertigen“. Das lässt sich schlecht auf einen Leopard-Panzer schreiben. Gleichzeitig ziehen auch in der Bibel Menschen gegen den Feind in den Krieg, um für die Sache zu streiten. Wir können uns nicht verstecken, wenn in Europa ein Land mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg überzogen wird, auch wenn es die christliche Seele und Praxis herausfordert.

Die Ampel-Koalition hat sich die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen vorgenommen. Womit rechnen Sie in dieser Wahl­periode?

Ich finde es positiv, dass die ­Ampelkoalition das ausdrücklich im Gespräch mit den Kirchen voran­treiben will. Ich bin überzeugt: Es ist Zeit, nach über 100 Jahren endlich den Verfassungsauftrag zur Ab­lösung der Staatsleistungen zu ­erfüllen. Die ­eigentliche Schwierigkeit liegt aber auf Ebene der Länder. Wenn es ein Bundesgesetz gibt, ­müssen die konkreten Ablöse­regelungen zwischen Ländern und Landeskirchen verhandelt werden. Dort sind nach Corona die Kassen klamm, deswegen müssen wir über die Modalitäten reden.

Inwiefern?

Wir sollten nicht nur über pekuniäre Ablösemodelle reden, sondern auch über Gebäude und Grund­stücke.

Eine andere Aufgabe der Bevollmächtigten ist die Seelsorge für Abgeordnete und Regierungs­mitglieder. Sie müssen jetzt also viele Kontakte knüpfen?

Ich habe zum Amtsantritt an alle Abgeordneten, Verfassungsorgane, Bundesminister und Fraktions­vorsitzenden einen Brief geschrieben, in dem ich mich vorstelle. Meine erste Andacht im Bundestag ist am 10. November. Ich bin zuversichtlich, dass sich daraus Kontakte ergeben.

Es gibt auch Gottesdienste und Abgeordnetenfrühstücke als Angebot für die evangelischen Politiker*innen. Halten Sie daran fest oder planen Sie etwas Neues?

Wir planen auf jeden Fall weiter Abgeordnetenfrühstücke in Berlin und Brüssel. Ich suche aber auch nach Formaten, um konfessionslose Menschen im Politikbetrieb anzusprechen und den Menschen auch an anderen Orten als der Kirche zu begegnen. Ich möchte mich erkennbar und sichtbar als Seelsorgerin unter die Leute ­mischen. Das wird übrigens auch ­äußerlich erkennbar sein.

In welcher Form?

Ich lasse mir gerade einen Lutherrock anfertigen. Klassisch kennt man ihn ja sonst eher bei Männern. Der ­Lutherrock ist für Geistliche ein gutes Zwischenstück zwischen Talar und dem üblichen Kostüm. Einige meiner Vorgänger haben ihn ge­tragen. Auch ich werde das bei geeigneten Anlässen tun.

Zur Person


Anne Gidion ist seit Anfang Oktober neue Bevollmächtigte der EKD. Damit vertritt sie die Interessen der evangelischen Kirche gegenüber Bundesregierung und ­Bundestag in Berlin sowie gegenüber den EU-Institutionen in Brüssel. Die 51-­Jährige leitete zuvor fünf Jahre lang das Pastoralkolleg der Nordkirche in ­Ratzeburg, eine ­Weiterbildungsstätte für Pfarrerinnen und Pfarrer. Gidion ­studierte von 1990 bis 1998 evangelische Theologie und Kunstgeschichte in Marburg, Durham (Großbritannien), Heidelberg und Wuppertal. Von 2004 bis 2007 absolvierte sie das Vikariat in Hamburg und im Predigerseminar Celle. Nach ihrem Vikariat und dem Zweiten Theologischen Examen wurde Gidion Pastorin in der Evangelischen Stiftung Alsterdorf („Alsterdorfer Anstalten“) in Hamburg und von 2010 bis 2017 im Gottesdienstinstitut der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche). Sie arbeitete vor rund 20 Jahren bereits als Referentin im Berliner EKD-Büro, von 1999 bis 2001. Danach war sie von 2001 bis 2004 im Bundespräsidialamt während der Amtszeit von Johannes Rau zuständige ­Referentin für die Kontakte zu Kirchen und Religionsgemeinschaften. Gidion ist Mitglied der 13. Synode der EKD (2021–2026). (epd/dk)

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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