Von Susanne Atzenroth
Ein frischer Duft steigt aus den Wiesen, die ganz und gar übersät sind von Butterblumen und Gänseblümchen. Am Deich verstecken sich die Grillen im hohen Gras und zirpen um die Wette. Sanft kräuselt der Wind das Wasser auf dem Fluss.
Kurz unterbrochen wird das vielstimmige Naturkonzert nur vom fernen Kratzen des Bleches auf Asphalt, wenn die Fähre anlegt und Fahrräder, Menschen und Autos ab- und aufsteigen lässt. Im steten Gleichmaß fährt sie von Ufer zu Ufer und verbindet an dieser Stelle das Brandenburgische Lenzen (Kirchenkreis Prignitz) mit dem Niedersächsischen Pevestorf.
Grenzenlos pendeln: von Ufer zu Ufer
Genau hier, auf der großen Wiese neben dem Fähranleger, wird vom 27. bis 29. Mai der Elbekirchentag stattfinden. Nicht von ungefähr steht er unter der Überschrift „Grenzenlos. Elbe“. Denn bis 1989 war Deutschland an dieser Stelle geteilt. Ein meterhoher Zaun aus Beton und Stacheldraht markierte auf dem Deich die Grenze, die hier die beiden deutschen Staaten 36 Jahre lang trennte. So lange war das jeweils andere Ufer für die Menschen, die hier lebten, unerreichbar.
Heute ist der ehemalige Grenzturm auf dem Deich ein Aussichtspunkt. Wer sich die Wendeltreppe ganz hinauftraut, wird mit einem einmaligen Blick weit über die Elbe und den gegenüberliegenden Auenwald belohnt. Von der oberen Plattform kommt auch die Festwiese hinter den zwei buschigen Weiden in den Blick. Noch flattern dort rote Bänder an unzähligen Holzpfählen im Wind. Sie sollen Braunkehlchen vergrämen – aber natürlich nur bis zum großen Fest, das die Untere Naturschutzbehörde unter dieser Auflage genehmigte.
Grenzenlos lieben: beim Tauffest an der Elbe
Die Wiese ist zusammen mit der Burg Lenzen und der St.-Katharinen-Kirche einer von drei Standorten, an denen gefeiert wird. Direkt am Elbufer wird eine große Bühne stehen und Platz für Konzerte, Gottesdienste und eine Podiumsdiskussion bieten. Auf dieser Wiese wird gemeinsam gepicknickt und die Natur zu Wasser und zu Land erforscht – bei einer Wanderung oder Radtour, mit dem Kanu oder beim Floßbauen mit der Evangelischen Jugend.
Überhaupt: Die Füße müssen natürlich ins Wasser! Und so wird am Samstag ein großes Tauffest unter dem Motto „Grenzenlos: Liebe“ gefeiert. 13 Täuflinge – Kinder, Jugendliche und Erwachsene – aus fast ebenso vielen Kirchengemeinden sind bisher angemeldet. In einem Freiluftgottesdienst mit Gospelmusik werden sie von fünf Pfarrer:innen mit Wasser der Elbe getauft – wahlweise an der Taufschale mit feierlich geschöpftem Wasser des Flusses oder direkt im fließenden Nass. Denn nicht nur mit den Füßen, sondern bis zur Hüfte hineinsteigen will etwa die Bad Wilsnacker Pfarrerin Anna Trapp mit zwei ihrer Täuflinge.
Grenzenlos Natur erleben und diskutieren
Vor 35 Jahren hingegen wäre ein solches Tauffest gänzlich unmöglich gewesen. Nicht nur die Grenze hätte dem entgegengestanden, sondern auch die Verschmutzung des Flusses. „Noch 1990 hatte die Elbe bei Dresden null Prozent Sauerstoff“, betont Bettina Kühnast, Geschäftsführerin des BUND-Besucherzentrums auf der Burg Lenzen. Vor allem die zahlreichen Industriestandorte im Verlauf der Elbe hatten zur starken Verschmutzung des Flusses beigetragen. Inzwischen hat sich viel getan. „Es ist mittlerweile einer der fischartenreichsten Ströme Mitteleuropas“, freut sich Bettina Kühnast.
Die Uferzonen hingegen profitierten vom fehlenden Eingriff der Menschen. So sind sie heute in weiten Teilen naturbelassene Auenwälder und -wiesen. Als „Grünes Band“ entlang des einstigen Todesstreifens sind sie als „Nationales Naturmonument“ unter Schutz gestellt worden. Doch auch dieser Schatz ist bedroht. „Niedrigwasser, geplante Staustufen und Ausbaupläne bedeuten eine große Herausforderung“, so die BUND-Geschäftsführerin. Zum Thema „Naturnahe Elbe: Chance oder Bremse?“ wird daher am Samstagnachmittag ein hochkarätig besetztes Podium diskutieren. Wer diese Naturlandschaft selbst erleben möchte, kann eine Rangertour an der Elbe machen oder an einem Spaziergang am Samstagabend mit Autor und Umweltschützer Ernst Paul Dörfler und Iris Brunar vom BUND-Elbeprojekt teilnehmen.
Ausgegrenzt: Zwangsaussiedlungen ab 1952
Während die Grenze der Natur eine Atempause verschaffte, bedeutete sie für die Menschen der Elbregion Vertreibung oder Drangsal. Ab 1952 wurden Tausende unter Zwang ins Hinterland umgesiedelt. Fadenscheinige Gründe reichten, um unerwünschte Personen von der Grenze zu entfernen. „Ich weiß bis heute nicht warum“, sagt etwa Sieglinde Schulz, die aus Mödlich am Elbdeich in der Nähe von Lenzen stammt.
Am 3. Oktober 1961 hatten uniformierte Soldaten an ihrer Haustür geklingelt und sie aufgefordert, Hof und Dorf zu verlassen. „Eine notwendige Maßnahme zur Grenzsicherung“, so habe es geheißen. Sieglinde und Siegmund Schulz fanden nach einer Odyssee über Mecklenburg schließlich ein neues Zuhause in Großderschau (Kirchenkreis Prignitz). „Ich bin eigentlich ein fröhlicher Mensch, aber ich habe in meinem Leben so viele Tränen vergossen“, sagt die heute 84-Jährige. Ihren Hof in Mödlich kauften sie nach langen Verhandlungen mit der Bundesrepublik zurück. „Immer zieht es mich dorthin. Heimat bleibt Heimat“, so Sieglinde Schulz.
Auf dem Elbekirchentag wird das Ehepaar Schulz zusammen mit anderen Zeitzeug:innen von ihren Erfahrungen berichten. Das Gesprächsangebot findet abseits des Trubels in der Burg Lenzen statt. Es moderiert Susanne Kschenka, Stellvertreterin der Beauftragten des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (LAkD). Der anschließende Kinofilm „Himmel ohne Sterne“ (BRD 1955) vertieft das Thema filmhistorisch.
Grenzenlos verbunden: Kirche und Naturschutz
Die BUND-Mitarbeiterin Bettina Kühnast und der Lenzener Pfarrer Gérôme Kostropetsch gehören zur Steuerungsgruppe und dem Planungsteam der Region, die den Elbekirchentag seit einem Jahr intensiv vorbereiteten. Viel Zeit haben sie mit Ideen und konkreten Vorbereitungen verbracht und festgestellt, an wie vielen Stellen sich Anliegen von Kirche und Naturschutz decken. „Unser Auftrag ist die Bewahrung der Schöpfung“, so der Pfarrer, „und beim BUND sind Menschen, die sich ganz praktisch darum kümmern.“ Berührungspunkte gab es auch schon vor dem Elbekirchentag, etwa mit Kirchenmusikerin Oana Maria Bran bei gemeinsam veranstalteten Konzerten auf der Burg.
Grenzenlos feiern: mit Trompeten und Posaunen
Beim Elbekirchentag ist auch die Lenzener Kirche ein wichtiger Veranstaltungsort mit Ausstellungen, Filmvorführungen, Bibelarbeiten und Bläser:innenworkshops – einer sogar ausdrücklich für Nicht-Bläser:innen. Wer also noch nie ein Blasinstrument in der Hand hatte, es aber immer schon mal probieren wollte, kann sich für den Samstagnachmittag in der St.-Katharinen-Kirche anmelden.
Und überhaupt: Nichts geht ohne Musik auf diesem Elbekirchentag. Geplant sind ein Offenes Singen, öffentliche Proben mit Trompeten und Posaunen, eine knallvergnügte Kindershow mit Kindermusiker und Puppenspieler Daniel Kallauch und Live-Musik mit der Gruppe Klangfisch. Dazu gibt es zahlreiche Stände und Aktionen. Also Leinen los! Es darf grenzenlos gefeiert und getanzt werden! Und beim großen Abschlussgottesdienst am Sonntag um 11.30 Uhr wird Bischof Christian Stäblein mitwirken.