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„Ohne seine jüdischen Wurzeln ist Jesu Botschaft nicht zu verstehen“

Christ*innen sind am Israelsonntag aufgerufen, zu bedenken, was uns mit dem jüdischen Volk verbindet. Und das ist sehr viel. ­Christliche Gedanken von einem Pfarrer zum Israelsonntag

Isrealsonntag, Jesus Jude
Foto: neufal54i/pixabay

„Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist, das er zum Erbe erwählt hat“ (Psalm 33,12)

Von Andreas Goetze

Evangelische Christ*innen begehen und feiern den Israelsonntag am 10. Sonntag nach Trinitatis, in diesem Jahr am 16. August. Mit Blick auf den jüdischen liturgischen Kalender liegt der Israelsonntag zwischen Trauer und Neuanfang, zwischen dem Gedenktag Tischa BeAw und dem Neujahrsfest Rosch Ha Schana. Am Fasten- und Trauertag Tischa BeAw wird der Zerstörung des ersten Jerusalemer Tempels im Jahr 586 vor Christus durch die Babylonier und des zweiten Tempels im Jahr 70 nach Christus durch die Römern gedacht. In diesem Jahr fiel er auf den 30. Juli. Und mit dem Neujahrsfest Rosch Ha Schana, das 2020 auf den 19./20. September fällt, verbindet sich die ­Hoffnung auf ein gnädiges, von Gott geschenktes neues Jahr.

Jahrhundertelang wurde dieser Tag antijüdisch als Tag der Über­legenheit des Christentums gegenüber dem Judentum begangen. Die Zerstörung des jüdischen Tempels im ersten Jahrhundert nach Christus  wurde als Zeichen des göttlichen Gerichts über die Juden interpretiert, die mehrheitlich Jesus nicht als ihren Messias anerkannten. So wurde über die „Ablösung“ des ­Judentums durch das Christentum gepredigt, verbunden mit der ­Abwertung, im „Alten Testament“ finde sich nur Gesetzliches, im „Neuen“ aber die Gnade und Liebe Gottes. Weil „alt“ allzu oft mit „überholt“ gleichgesetzt wurde, wird alternativ die wertfreiere ­Wendung „Erstes und Zweites Testament“ genutzt.

Erst sehr langsam, angeregt durch Predigtmeditationen von „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“, wurde der „Israelsonntag“ als Tag des bußfertigen Gedenkens an christlicher Schuld gegenüber dem Judentum begangen. Im ­Zeichen der Neubesinnung des Verhältnisses von Christ*innen und Jüd*innen wurde mehr und mehr das Verbindende betont. Das ist bis heute nicht selbstverständlich. Noch oft sind die alten Denk- und ­Glaubensmuster wahrzunehmen.

Dabei gäbe es ohne das Judentum kein Christentum. Dieser Zusammenhang wurde über Jahrhunderte geleugnet und wirkt bis heute nach. Wir sind am Israelsonntag aufge­rufen, zu bedenken, was uns mit dem jüdischen Volk verbindet. Und das ist sehr viel: Als Christ*innen lesen wir das Erste Testament, die Tora und die Propheten. Wir beten die Psalmen, die auch im jüdischen Gottesdienst und am Schabbat ­gebetet werden. Wir denken und ­besingen Gott in den großen Worten des Judentums: Barmherzigkeit, ­Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Hoffnung, Frieden. Ohne seine jüdischen Wurzeln ist Jesu Botschaft nicht zu verstehen. So entdeckte Martin Luther die befreiende ­Gerechtigkeit Gottes bei seiner Auslegung von Psalm 31,2: Gott nimmt den Sünder ohne Wenn und Aber an. Sozusagen in „Israels Gegenwart“ kommt ihm die tiefe Erkenntnis der zuvorkommenden Gnade Gottes vor allem menschlichen Tun.

Das Erste Testament ist für uns zum Verstehens-Horizont unseres Glaubens geworden. An einem ­Beispiel möchte ich das verdeut­lichen: Der Bund Gottes mit seinem Volk Israel ist durch das Zweite ­Testament nicht abgelöst worden, sondern besteht weiter. Gott hat ­diesen Bund nicht gekündigt, ­sondern bleibt treu in seiner Liebe. Wenn wir Christ*innen das Erste Testament abwerten und uns von Gottes Treue zu seinem Volk Israeldurch die Geschichte abschneiden, schneiden wir uns ab von unserer ­eigenen Heilsgewissheit. Das Zweite Testament führt nicht aus dem ­Ersten heraus, sondern hinein und steht in einem unauflöslichen ­dialogischen Zusammenhang.

Ob wir am Israelsonntag Jesu Weinen über Jerusalem und die Tempelzerstörung in den Mittelpunkt rücken (Lukas 19,41–48) oder die untrennbare Zusammengehörigkeit von Judentum und Christentum (Markus 12,28–34): Entscheidend ist die Grundhaltung. 

Verstehen wir unseren Glaube an Jesus Christus so, dass der Bund ­Gottes mit Israel als „Alter Bund“ überholt und abgelöst wurde durch die Kirche und ihren „Neuen Bund“ und wir die allein von Gott Erwählten sind? Oder sehen wir uns durch die Geistkraft Gottes in Jesus Christus mit hineingenommen in den einen verheißungsoffenen Bund des Gott Israels, der zugleich der Vater Jesu Christi ist? Können wir unsere messianische Hoffnung dialogisch und nicht ausgrenzend glauben? Das kann schon dadurch beginnen, dass wir erkennen, dass die Nächstenliebe Grundlage und Grundhaltung bereits in der Tora ist (3. Mose 19,18).

So können wir uns vom Israelsonntag für das ganze Kirchenjahr inspirieren lassen, indem wir als Christ*innen verstärkt über Texte des Ersten Testaments  predigen, die Psalmen nicht nur auszugsweise, sondern in ihrer Gänze aufnehmen und weiter mit unseren jüdischen Geschwistern im Dialog bleiben.

Andreas Goetze ist Landeskirchlicher Pfarrer für den Interreligiösen Dialog und Mitglied im geschäftsführenden Ausschuss des Landes­kirchlichen Arbeitskreis Christen und Juden. 

Zum Weiterlesen: Impulse aus dem jüdisch-christlichen Gespräch für evangelische Gottesdienste bietet die Broschüre „Amen?“, die von der EKBO in Kooperation mit dem Institut Kirche und Judentum und der Evangelischen Akademie zu Berlin herausgegeben worden ist. Bestellungen sind möglich bei Andreas Goetze unter a.goetze@bmw.ekbo.de oder als pdf auf der Internetseite des Berliner­ Missionswerkes: www.berliner-missionswerk.de

Predigthilfe und Materialien für die ­Gemeinde von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste zum Israelsonntag 2020 zum Herunterladen unter www.asf-ev.de/predighilfe oder per E-Mail: infobuero(at)asf-ev.de

Telefon (030) 283 95-184

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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