Post vom …… Lebensende
Auf den Weg gemacht
Von Sibylle Sterzik
Seinem rechten Bein fehlt vom Knie abwärts, was dem Körper Halt gab: Wade und Fuß. Der Schwerkranke schläft. Durch Schläuche unter der Bettdecke suchen sich Flüssigkeiten ihren Weg. Kurz blickt er auf, scheint mich zu registrieren, taucht wieder ab. Ich bleibe zwei Stunden an seinem Bett sitzen. „Er will nicht mehr“, sagt der Bettnachbar. „Der Familie sagt er das nicht. Aber wenn er nachts wach ist, erzählt er es mir.“ Trotzdem hält er das Sterben aus.
Die Ärzte winken nur ab, hat der Zimmernachbar beobachtet. Vor ein paar Wochen mit der Feuerwehr hergekommen, wusste niemand, wie schlimm es steht. Ein Tumor, kaputte Gefäße, kraftloses einsames Herz. Er klagt kein einziges Mal. Nur dass sein Sohn jetzt das erleben muss mit ihm wie er vor neun Jahren mit seiner Mutter, tut ihm leid. Warum haben wir uns nicht mehr gekümmert? Alle fragen sich das.
„Er hat sich schon auf den Weg gemacht“, sagt der Pfleger im Flur. Diesen Satz hätte ich im städtischen Klinikum Cottbus nicht erwartet. „Sie können jederzeit kommen. Ich nehme das auf meine Kappe. Rufen Sie an. Vertraute Stimmen tun ihm gut.“ Die Wachleute am Eingang sehen das ganz anders, versuchen mich mehrmals abzuweisen.
Aber Sterben im Bett in der Mitte zwischen anderen? Gott sei es gedankt: Im Hospiz wird ein Bett frei. Endlich Stille, Einzelzimmer, Bilder der Familie auf dem Fenstersims, liebevolle Schwestern mit mehr Zeit. Kurz lebt er auf. Erzählt von dem schönen Blick ins Grüne auf seinem Balkon, den roten Geranien. „Du bist doch zufällig hier?“, fragt er. Kann nicht glauben, dass jemand seinetwegen kommt. Eine Woche später atmet er nicht mehr. Die Blätter fallen, als wir ihn zu Grabe tragen.