Wo bleibst Du Trost der ganzen Welt – Lieder im Advent und zu Weihnachten
Das allerschönste Kind in der Welt
Adventslieder erzählen von der großen Sehnsucht nach Trost und von der Hoffnung, die kommt. Aber welchen Trost brauchen wir, was gibt Hoffnung? Danach fragen wir in unserer Reihe zu Advents- und Weihnachtsliedern, die mit dieser Ausgabe beginnt.
Kirchenmusikdirektor Günter Brick aus Berlin nimmt die Frage nach dem Trost auf am Beispiel des Liedes „O Heiland, reiß die Himmel auf“.
Teil 1 Von Günter Brick
Meistens schaue ich weg. Ich denke einfach nicht dran. Es ist zu schlimm und zu viel. Sonst müsste ich mich ja dauernd nur darum kümmern. Krieg, Hunger, Armut. Sie wissen schon. ich mag gar nicht weiterschreiben.
„Warum brauchen wir Trost?“ habe ich unsere Kinder gefragt: „Weil es so viel Mist gibt.“
Schlimme Gemeinheiten, Ausgrenzung, Vertreibung. Ach, bräuchten wir doch keinen Trost.
Aber es ist, wie es ist.
Also rufen wir unsere Freunde, Familie um Trost an. Und Gott. So wie der Jesuit und Kirchenliederdichter Friedrich Spee (1591–1635) in „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Das gefällt mir: Himmel auf, Blitz und Donner raus und alles Elend bitte zerschlagen. Auf einmal.
Kommt aber nicht so.
Die Melodie in Moll, der Rhythmus im Dreiertakt. Ich höre die Trommeln und Schellenkränze, auf denen im Mittelalter dazu gespielt wurde. Im Mittelteil des Liedes kommt fröhliches Dur, bei den beiden Stellen mit dem „Himmel“. Ach ja, so schön könnte es sein. Die Melodie geht in die Höhe – hallo Himmel, hier Erde, komm mal helfen und trösten – und endet doch in der Tiefe in Moll – war wohl nix.
Da spiele ich gerne die dorische siebte Stufe. Sie haben keine Ahnung, was das ist? Egal: Wenn ich das spiele, klingt es gleich nach Mittelalter. Ich spiele es Ihnen gerne mal vor.
Vielleicht hatte Friedrich Spee auch die Schellenkränze, Trommeln und den dorischen Klang im Ohr, als er schrieb: „Reiß ab, wo Schloß und Riegel für.“ Vielleicht dachte er an die Gefängnisse, in denen die Hexen saßen und bei deren Verbrennung sicher auch Musik gespielt wurde. Im Dreiertakt, in Moll, in Dur und in Dorisch.
Nicht, dass Sie denken, dass ich an Hexerei glaube. Astreiner Blödsinn. Aber im 17. Jahrhundert gab
es viele „Hexenverfolgungen“ und Prozesse. Spee hat nicht weggesehen, er hat seinen Verstand benutzt: Wenn ein vermeintliches Geständnis unter schlimmster Folter erpresst wurde, ist es nichts wert. Irgendwann gesteht man alles, was die Folterer hören möchten, damit nur endlich die Folter aufhört. Dann hat er im Gefängnis zugehört, was die Angeklagten, die vermeintlichen Hexen oder Zauberer, im Angesicht des Todes berichteten. Er hat versucht, sie zu trösten, wo doch kaum Trost möglich war.
In seinem Buch „Cautio Criminalis“ (1631) hat er aufgeschrieben, was doch so offensichtlich war.
Er hat die Folter verurteilt und die Priester angeklagt. Die Priester,
die sich im Beichtstuhl darauf beschränkten, die erpressten Geständnisse wiederholen zu lassen, um dann Absolution zu erteilen und am Ende die ergangenen Urteile zu bestätigen.
Gefallen hat das den Oberen seiner Zeit nicht. Spee hat seinen Lehrstuhl deswegen verloren. Doch er hat sich nicht abhalten lassen und er hat einen wichtigen Beitrag zur Veränderung des Denkens geleistet. Er hat Mut gemacht, den eigenen Verstand zu benutzen, zwei und zwei zusammenzuzählen.
In der zweiten Strophe soll Gott „einen Tau vom Himmel gießen“ und die „Wolken (sollen) brechen und sich ausregnen“. Oh ja, bitte. Viel Tau und viel Regen! Nur nicht aller Regen an einer Stelle und auf einmal.
Man könnte meinen, Spee sei ein „Öko“ und habe das Lied im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe geschrieben – auch die dritte Strophe verlangt nach „grün“ überall, in Berg und Tal. Ach wär das schön.
In der vierten Strophe kommt dann die Bitte um Trost, „O komm, ach komm“. Denn für ihn wie für uns mangelt es an Trost und an Taten, die trösten und Hoffnung machen. Auf der großen Weltbühne und in der U-Bahn, wo ein Obdachloser unsere Hilfe und Trost braucht.
„Wo bleibst du, Trost der Welt?“
Unsere Kinder sagen: Man kann eigentlich nur Menschen trösten,
die man kennt. Einen Fremden zu trösten, traut man sich nicht so einfach. Aber helfen kann man, auch Fremden. Das tröstet auch.
Wir haben zwei Möglichkeiten: Wir gehen die Schritte, die wir gehen können (oder vielleicht noch ein paar mehr) oder wir gehen sie nicht: Wenn wir nicht auf unsere Freunde, Familie und vor allem Menschen in Not zugehen und Trost auf alle uns mögliche Weise spenden, bleibt das Elend in der Welt. Wenn wir es aber tun, könnte es sein, dass die Welt ein wenig besser wird.
Wenn wir unseren Konsum, unseren Energieverbrauch, unser Leben nicht umstellen, geht die Zerstörung der Erde sicher weiter und immer schneller. Spee hat seinen Verstand benutzt. Seine Erkenntnisse zu erpressten Geständnissen scheinen uns heute einfach und nachvollziehbar.
Auch wir müssen unserem Verstand trauen und auch dem Verstand und Wissen anderer. Dann können wir erkennen, dass die Erwärmung der Erde stattfindet – viel zu schnell –, die Pole schmelzen, die Wüsten sich ausbreiten und der Meeresspiegel gefährlich ansteigt. Und dass nicht nur das Wetter „besser“ wird.
Wenn wir tun, was in unserer Macht steht, könnte es sein, dass die Welt ein Paradies bleibt und wieder wird. Denn sie ist schön und das Leben kann schön sein, Trost kann uns erreichen und Hoffnung stärken.
1622 wurde Spees Lied erstmals gedruckt und veröffentlicht. In einer Liedersammlung mit dem Titel „Das Allerschönste Kind in der Welt“. Deshalb: Lassen wir uns von diesem Kind ermutigen und trösten und … lasst uns hinschauen und handeln.
O Heiland
O Heiland, reiß die Himmel auf,
herab, herab vom Himmel lauf,
reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloss und Riegel für.
O Gott, ein Tau vom Himmel gieß
im Tau herab, o Heiland, fließ.
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
den König über Jakobs Haus.
Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?
O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.
O klare Sonn, du schöner Stern,
dich wollten wir anschauen gern;
o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein
in Finsternis wir alle sein.
Hier leiden wir die größte Not
vor Augen steht der ewge Tod.
Ach komm, für uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland
Text: Friedrich Spee 1622
Melodie Köln 1638, Augsburg 1666
Evangelisches Gesangbuch Nr. 7
Kirchenmusikdirektor Günter Brick ist Studienleiter für kirchenmusikalische Aus,- Fort- und Weiterbildung und Stellvertretender Landeskirchenmusikdirektor der EKBO.