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"Sehnsucht nach Trauer"

Drei Fragen an den Theologen Reiner Sörries zur Bewältigung von Unglück und Terror

Foto: Peter Juelich/epd

epd-Gespräch: Stephan Cezanne (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Die öffentliche Anteilnahme nach Unglücken oder Terrorakten wie in Hanau nimmt nach Ansicht des Trauer-Experten Reiner Sörries zu. "Man gewinnt den Eindruck, dass beinahe jede Gelegenheit wahrgenommen wird, um in dieser Art zu trauern", sagte der frühere Direktor des Kasseler Museums für Sepulkralkultur zu Sterben, Bestatten und Gedenken dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vor allem "fremde" Anlässe seien ein Ventil für "jene Trauerreaktionen, die wir uns im persönlichen Bereich versagen". Sörries (67) ist Mitherausgeber des Fachmagazins "Leidfaden" für Krisen, Leid und Trauer (Vandenhoeck & Ruprecht-Verlag) und außerplanmäßiger Professor für Christliche Archäologie und Kunstgeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen.

epd: Nach Anschlägen wie in Hanau ist die öffentliche Anteilnahme groß. Viele sprechen inzwischen von einer Art "Event-Trauer" mit Blumenmeeren und Kerzen und zur Schau gestellten Emotionen. Sehen Sie da einen Trend?

Reiner Sörries: Die Formen öffentlicher Anteilnahme nehmen in der Tat zu. Man gewinnt den Eindruck, dass beinahe jede Gelegenheit wahrgenommen wird, um in dieser Art zu trauern. Das hat sich in den letzten Jahren so entwickelt. Historisch gesehen gab es solche öffentliche Trauer erstmals beim Tod des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme, der 1986 ermordet worden war. Hier kamen am Ort des Attentats Tausende von Menschen zusammen und hinterließen ein Blumenmeer. In der Folge steigerten sich die Anlässe für kollektive Trauer, die manchmal geradezu gesucht werden. Ich erinnere daran, dass es sogar 2011 beim Tod des Berliner Eisbären Knut solche Trauerbekundungen gab. Man kann daraus auf eine Sehnsucht nach Trauer schließen.

epd: Warum stürzen sich viele Menschen heute in kollektive Gefühle wie Trauer oder auch in Empörung?

Sörries: Zunächst war es ein gesellschaftlicher Lernprozess, auf schlimme, tödliche Ereignisse so zu reagieren. Zunehmend fanden sich Menschen ein und trauerten um Opfer, die sie persönlich gar nicht kannten. Somit handelt es sich um eine andere Form von Trauer als beim Tod eines nahen Verwandten, eines geliebten Menschen. Die Schwelle von der Trauer zur Empörung ist dann niedrig, wenn Schuldige an den Vorkommnissen auszumachen sind. Dabei ist die Suche nach Schuldigen elementar, weil für den Tod von Menschen immer jemand verantwortlich sein muss. Dann ist der Tod, der eigentlich nicht sein darf, leichter zu ertragen.

epd: Bietet das öffentliche Trauern für viele Menschen die Möglichkeit, Emotionen zu zeigen, die sie in ihrem Alltag sonst nicht zeigen können? Ist diese Anteilnahme wirklich so selbstlos?

Sörries: Tatsächlich sind die Menschen bei persönlichen Verlusten eher geneigt, Stärke statt Schwäche oder Trauer zu zeigen. So will man sich etwa beim Verlust des Arbeitsplatzes, bei der Trennung von einem Partner oder einer Partnerin nichts anmerken lassen. Selbst beim Tod eines nahestehenden Menschen halten viele Menschen heftige Trauerreaktionen eher zurück. Es gibt also viele Momente für Trauer im Leben, die wir nicht zeigen. Umso mehr ist Trauer eben bei "fremden" Anlässen erlaubt, und sie sind ein Ventil für jene Trauerreaktionen, die wir uns im persönlichen Bereich versagen.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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