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Sterbehilfe – Ein Ehepaar, zwei Meinungen

Das Verbot wurde gekippt. Anne und Nikolaus Schneider haben unterschiedliche Auffassungen.

Sterbehilfe Nikolaus Schneider
Anne und Nikolaus Schneider 2015 beim Kirchentag in Stuttgart. Foto: Norbert Neetz/epd

Wer sein Leben beenden möchte, weil er es vor Schmerz und Leid nicht mehr aushält, soll mit professioneller Begleitung sterben dürfen - so hat es das Bundesverfassungsgericht (BVG) am vergangenen Mittwoch beschlossen. Es kippte das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe nach Paragraf 217 und stärkte das Selbstbestimmungsrecht schwerkranker Menschen. Die Lehrerin Anne Schneider, die vor sechs Jahren an Brustkrebs erkrankte, und ihr Mann Nikolaus, der Theologe und frühere Ratsvorsitzende der EKD, vertreten dazu unterschiedliche Auffassungen. 

Frau Schneider, begrüßen Sie diese Entscheidung?

Ich bejahe den Grundansatz der Karlsruher Richter, dass nach unserem Grundgesetz den einzelnen Bürger*innen die Freiheit zusteht, selbstbestimmt zu leben. Und dass zu dieser Freiheit eben auch die Freiheit gehört, sein Leben „eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden“ und dafür die Hilfe von anderen in Anspruch zu nehmen. Ich begrüße deshalb die Entscheidung gegen den Paragraphen 217, weil ich der Ansicht bin: Das Sterbehilfe-Gesetz von 2015 hat die Möglichkeit einer Suizidbeihilfe von Ärztinnen und Ärzten verunklart, wenn nicht sogar verunmöglicht. 

Glauben Sie, dass das Urteil dazu führen kann, dass alte und schwerkranke Menschen sich ­gedrängt fühlen, ihr Leben zu ­beenden, wie es die Kirchen ­befürchten?

Jede Freiheit kann missbraucht werden – so auch die individuelle Freiheit, sein Leben selbstbestimmt zu beenden. Die vom BVG-Urteil eröffnete Freiheit für Sterbewillige würde missbraucht, wenn sie von anderen Menschen oder von veränderbaren unerträglichen Lebensverhältnissen dazu gedrängt würden, ihr Leben zu beenden. Diesem Missbrauch von Freiheit sollten wir nicht zuletzt in unserer Kirche widerstehen und entgegen arbeiten. Aber ein möglicher Missbrauch von Freiheit diskreditiert die Freiheit doch nicht.

Herr Schneider, Sie lehnen assistierte Selbsttötung ab, würden aber Ihre an Krebs erkrankte Frau aus Liebe zu ihr in die Schweiz begleiten. Fühlen Sie sich durch das Urteil darin bestärkt oder vertieft es vor allem Ihren Zwiespalt?

Das Urteil ändert an meinem Zwiespalt nichts. Für mich bleibt es in ethischen Fragen wichtig, zwei Argumentationsebenen zu unterscheiden: zum einen die theoretisch-normative Ebene, die Wegweisung für gesetzliche Regelungen ist. Zum anderen die lebenspraktische, individualethische Ebene. In der gesellschaftlichen Debatte über den assistierten Suizid sollten wir die lebensschützende Funktion der gesetz­lichen Regelung nicht unterschätzen – nicht nur im Blick auf das individuelle Leben, sondern auch für das Wertegerüst einer Gesellschaft. Das BVG-Urteil schwächt meiner Ansicht nach dieses Wertegerüst, weil es der freien Selbstbestimmung des einzelnen Menschen zur Selbst­tötung einen absoluten Rang zuerkennt – in jeder Lebenslage. Das geht weiter als Holland oder die Schweiz.

Frau Schneider, lange verweigerten Kirchen „Selbstmördern“ eine christliche Bestattung. Der Vorwurf: Ihnen fehlte Gottvertrauen. Zudem vernichteten sie das von Gott geschenkte Leben. Glauben Sie, dass es eine Frage von fehlendem Vertrauen zu Gott ist, wenn jemand sein Leben beendet, weil er sich nur noch vor Schmerzen quält?

Ich lebe und glaube nicht mit einem Gottesbild, nach dem Gott im Himmel für jeden lebenden Menschen auf der Erde ein bestimmtes Sterbedatum geplant hat. Ich glaube also nicht, dass man mit einer Selbsttötung Gottes guten Plan verhindert und zerstört. Wenn ich am Ende eines erfüllten Lebens im Reinen mit mir und den mir nahen Menschen Medikamente nähme, um mein Sterben zu beschleunigen, könnte ich dies mit meinem Gottvertrauen vereinbaren.

Sie haben in Ihrem Buch „Vom Leben und Sterben“ mehr Mut zur protestantischen Freiheit und zur Vielstimmigkeit in ethischen ­Fragen gefordert. Was genau ­wünschen Sie sich von Ihrer ­Kirche?

Für mich war eine der wichtigen Erkenntnisse Martin Luthers: Der einzelne Christ und die einzelne Christin sind im Blick auf ihre Beziehung zu Gott und auf ihr Verständnis von Gottes Wort von der kirchlichen Hierarchie befreit. Sie können und müssen in eigener Verantwortung das Wort Gottes für das eigene Leben reflektieren und Entscheidungen treffen. Für mich gibt es keine eindeutigen, für alle Zeiten und für alle Menschen gültigen christliche Antworten auf ethische Fragen. Deshalb wünsche ich mir eine Kirche, die mit Vielstimmigkeit, Uneindeutigkeit und Unentscheidbarkeit leben kann.

Frau Schneider und Herr Schneider, wo müsste der Gesetzgeber Ihrer Meinung nach jetzt Grenzen setzen, damit assistierter Suizid keine normale medizinische ­Behandlung wird?

Das Gericht selbst gibt Hinweise: Beratungspflichten werden für zwingend gehalten, Zuverlässigkeitsprüfungen für Sterbehilfevereine sind denkbar, Wartezeiten für Sterbewillige können eingeführt werden, Verbote fragwürdiger Organisationsformen sind möglich, Hilfsangebote sollen fürsorglich und ­seriös ausgestaltet sein. Uns scheint besonders wichtig zu sein, dass das Urteil nicht zum Anlass genommen wird, den Ausbau, die Ausstattung und weitere Entwicklung von Palliativmedizin und Hospizstrukturen zu vernachlässigen.


Die Fragen stellte Sibylle Sterzik.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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