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Unter Generalverdacht

Wie 9/11 alle Muslime unter Generalverdacht stellte

Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in New York und Washington und während der Suche nach den Drahtziehern galt jeder muslimisch aussehende Mann mit einem Bart oder jede Frau mit einem Kopftuch als verdächtig. Wie erlebte ein Muslim damals den täglichen Rassismus? Welche Folgen hatte er?

Von Ender Çetin

Als meine Eltern in den 1970er Jahren ihre Existenz in Deutschland aufbauten, nannte man sie Gastarbeiter. Ich wuchs in BerlinNeukölln auf, und man nannte mich Ausländer. Später wurden wir „Migranten“ oder „Ndh’s“, nicht deutscher Herkunft, genannt. Jedoch war der 11. September 2001 ein so einschneidendes Erlebnis, dass wir nur noch das Label „Muslime“ aufgesetzt bekamen. Diese Zuschreibung hielt mindestens so lang wie der NATO-Einsatz in Afghanistan. Wahrscheinlich wird sie noch eine ganze Weile halten. Aber wie kam es dazu?  Auch vor dem 11. September gab es  bereits Vorbehalte gegenüber Muslimen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion war da zum Beispiel der Irak-Krieg in den 1990er  Jahren. Doch der Höhepunkt der Vorurteile gegen die Religion des Islam, deren Name ja mit dem Wort Salam, Frieden, verwandt ist, wurde mit dem größten Terroranschlag in der Geschichte erreicht: dem Anschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York.

Fast jeder, der diesen Tag erlebt hat, kann sich noch detailliert an die Bilder erinnern. Kurz danach kursierten bereits die ersten Gerüchte. Waren es die Muslime? Neonazis, die schon in den 1990ern einen Anschlag in den USA begangen hatten? Oder vielleicht eine Kamikaze-Aktion von japanischen Nationalisten? Damals war ich 25 Jahre alt und dachte: „Hoffentlich waren es keine Muslime.“ Es stellte sich heraus, dass saudi-arabische Terroristen diesen Anschlag durchgeführt  hatten.

Unter Generalverdacht

Die Nachwirkungen dieses Anschlags waren für viele Muslime schnell spürbar. Ein Generalverdacht: Was passiert in den Hinterhöfen der Moscheen? Bauen Muslime dort Bomben? Bereiten sie sich auf den Tag X vor? Kann man ihnen noch trauen? Tun sie nur lieb oder sind sie doch gefährlich? Männer mit einem Bart, Frauen mit Kopftuch wurden als fremd und gefährlich  wahrgenommen. Der alltägliche Rassismus nahm zu. Viele muslimische Einrichtungen waren Angriffen ausgesetzt.  Bei vielen Terroranschlägen hörte man immer wieder den Begriff „Schläfer“. Damit sind Menschen gemeint, die sich in bestimmten Bereichen des Staates oder in Firmen unau ffällig verhalten, „schlafen“, und dabei ihr Umfeld ausspähen. Später werden sie „geweckt“, um bei der Umsetzung von Terroranschlägen zu helfen, so der Verdacht. Ebenso hörte man sehr oft, die Terroristen seien ja eigentlich vorher als ganz normale nette Mitbürger wahrgenommen worden. Das erhöhte die Angst vor Muslimen enorm. Nun könnten wir ja alle „Schläfer“ sein.  Bekannte von uns, die durch und durch Laizisten waren und Religion und Staat trennen, wurden von ihren Kollegen auf einmal als Muslime wahrgenommen, mit Fragen bombardiert und mit komischen Blicken bedacht. Es gab viele Konflikte in den Schulen, auf der Arbeit, bei der Job- oder Wohnungssuche. Einen praktizierenden Muslim als  Polizeikollegen oder in der Verwaltung zu  sehen, beängstigte viele Mitbürger. Noch stärker als früher wurden wir als eine homogene Gruppe wahr genommen: „die Muslime“. Diese Fremdzuschreibung wurde von der jungen Generation so stark wahrgenommen, dass sie es annahm. Auch wenn keine Spiritualität und Religiosität  vorhanden war, konnte man als „Muslim“ Angst im Gegenüber hervorrufen. Viele von den Schüler*- innen waren frustriert, da sie nicht religiös argumentieren konnten oder auch nicht wollten.

In Erklärungsnot

Nun musste der einfache Muslim Fragen über seine Religion beantworten, die er sich selbst vorher nie gestellt hatte: „Warum dürft ihr Ungläubige töten?“, „Wieso werden die Frauen bei euch so unterdrückt?“  Die interreligiöse und interkulturelle Arbeit in unseren Moscheegemeinden wurde somit viel wichtiger. Die vielen Anfragen von Medien oder auch von neugierigen Menschen waren enorm. Deshalb legten die Älteren in den Moscheegemeinden, die ja meistens die  Moschee nur als Gebetsraum und kulturellen Treffpunkt betrachteten, darauf Wert, nun auch deutschsprachige, in Deutschland aufgewachsene Muslime in die Vorstände aufzunehmen. Sie sollten einfach nur nach außen erklären, was denn Muslime so den ganzen Tag machen.  Meine Freunde und ich boten in der Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln jeden Tag kostenlose Führungen an. Viele Moscheen öffneten die Türen für alle Menschen, um zu zeigen, dass es sich bei den Muslimen um gastfreundliche Menschen handelte und es kein Grund für Ängste und Sorgen gab.

"meet2respect"

Es gab Tage der Begegnungen mit Andersgläubigen und viele öffentliche Veranstaltungen. Auch Muslime änderten sehr oft ihre  Perspektiven auf andersgläubige Menschen. Vorurteile auf beiden Seiten wurden abgebaut. So entstand in dieser Zeit das Projekt „meet2respect“: Ein jüdisch-muslimisches Tandem besucht Schulklassen und versucht bei Schüler*innen Gemeinsamkeiten aufzuzeigen und Vor urteile abzubauen.  Viele nicht-muslimische Kooperationspartner halfen den muslimischen Gemeinden dabei, mit in den Diskurs einzusteigen. Man redete nicht nur über Muslime, sondern mit ihnen. So entstanden auch wichtige Netzwerkpartner. Viele Vorurteile wurden so  wieder abgebaut. Auch wenn es mittlerweile unzählige Projekte gibt, bei denen viele  Muslime partizipieren, sind doch die Ängste und Vorbehalte immer noch stark spürbar. Somit setzen wir unseren „Dschihad“ – das Bemühen, Gottes Willen zu erlangen – um ein besseres Verständnis und ein friedliches  Miteinander gemeinsam mit unseren Netzwerkpartnern fort.

Ender Çetin ist Gefängnisseelsorger, Imam, Mitarbeiter der deutsch- islamischen Akademie und früherer Gemeindevorsitzender der Neuköllner Sehitlik- Moschee. Zudem ist er  Mitbegründer von meet2respekt  

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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