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Wie Mädchen und Jungen die Welt sehen – das Archiv für Kindertexte

Sie schreiben über Tiere, Pflanzen und Fantasiewesen. Wie kreativ Mädchen und Jungen mit Sprache umgehen, zeigen mehr als 150000 Erzählungen, Gedichte und Schulaufsätze im Kindertextarchiv in Halle.

Das Buch „Fantasien von Kindern aus aller Welt“ und ein Originalblatt für dieses Buch im Archiv für Kindertexte „Eva Maria Kohl“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Foto: Jens Schlüter/epd

Von Christine Süß-Demuth (epd) 

Ob Nudelpferd, Nachtfee, Grashalm oder Schmetterling: Es ist viel Fantasie im Spiel, wenn Kinder ihre Gedanken zu Papier bringen. Denn sie erzählten ihre Erlebnisse und Alltagserfahrungen gerne aus der Perspektive von Tieren, Pflanzen, Fantasiewesen oder Alltagsgegenständen, sagt Michael Ritter. Der Professor für Grundschuldidaktik leitet das weltweit einzige Archiv für Kindertexte „Eva Maria Kohl“ an der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg. Dort wird erforscht, wie Kinder ihren Blick auf die Welt formulieren.

Verborgene Schätze


In langen Regalen reihen sich bunte Ordner und graue Kartons aneinander. Sie enthalten circa 150000 Schriftstücke, die in den vergangenen rund 100 Jahren von Kindern und Jugendlichen verfasst wurden. Darunter sind Schulaufsätze, Einsendungen aus Schreibwettbewerben oder Beispiele aus einem Unesco-Alphabetisierungsprojekt. „Die Texte zeigen, wie wunderbar Kinder mit Sprache spielen“, sagt Ritter. Die kreativen Geschichten und Gedichte seien „Ergebnisse der kindlichen Auseinandersetzung mit der Welt“.

Ein Beispiel dafür ist eine kurze Erzählung der neunjährigen Sophia. Sie beschreibt sich als kleinen Grashalm, über den die Sonne strahlt und Käfer krabbeln. Doch die Idylle trügt: Dem Alltäglichen stellt sie eine Gefahr gegenüber. „Bricht mich jemand ab, bin ich kein kleiner Grashalm mehr auf einer großen Wiese“, schreibt sie und spielt damit auch auf die eigene Verletzlichkeit an.

Welch ein Schatz in Kindertexten verborgen ist, erkannte schon vor mehr als 100 Jahren der Bremer Volksschullehrer Fritz Gansberg (1871–1950). Er traute Mädchen und Jungen einen selbständigen und produktiven Umgang mit Schriftsprache zu – ungewöhnlich für jene Zeit. Deren Aufsätze seien „ein großer Streifzug durch die Welt der Kinder, ein tiefer Einblick in die Natur des kindlichen Geistes“, schrieb er 1909 in seiner reformpädagogischen Streitschrift „Produktive Arbeit“.

Daran knüpft das Archiv an, das im Jahr 2000 von der Professorin für Deutschdidaktik Eva Maria Kohl gegründet wurde. Dort werden Texte nicht nur gesammelt, um kindliche Schreibprozesse zu würdigen. Sie dienen auch für interdisziplinäre Forschungen, etwa in Pädagogik und Geschichtswissenschaften.

Bomben und Schmetterlinge


Neben freien Texten aus reform­pädagogischen Schulen um 1900 finden sich auch Kindertexte aus der Zeit des Nationalsozialismus und aus beiden deutschen Staaten zwischen 1949 und 1989 wieder. Wie unterschiedlich die Blickwinkel nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von Kindern im Nationalsozialismus waren, zeigten deren sprachliche Zeugnisse, erläutert Ritter. So schildere etwa der siebenjährige Helmut in propagandistischem Stil in seiner Erzählung „Mein Onkel fliegt nach England“, wie sein Onkel eine Bombe abwirft und dafür das Eiserne Kreuz erhält.

Erschütternd ist dagegen die ganz andere Perspektive, die das Gedicht eines Jungen namens Pavel Friedmann zeigt. Er hat die Verse 1942 im KZ Theresienstadt verfasst: „Der Schmetterling“ endet mit den Worten „das war gewiß der allerletzte, denn Schmetterlinge leben nicht im Getto“.

Die unterschiedlichen Lebenswelten treten auch in internationalen Kindertexten zutage. In den Interpretationen zu dem Gemälde „Ziege“ von Pablo Picasso wurde aus dem Tier auch mal ein Kamel oder ein Rentier, wie Ritter erzählt. Die Sammlung „Phantasien von Kindern aus aller Welt“ enthält rund 3000 Texte von Kindern aus 22 Ländern.

Mit einem Thema setzen sich die jungen Autorinnen und Autoren weltweit immer wieder auseinander: „Egal ob vor 100 Jahren oder heute: Das Thema Freundschaft beschäftigt Kinder und Jugendliche“, sagt Ritter. Dies zeige, wie wichtig soziale Beziehungen über die eigene Familie hinaus für die Kinder seien. Ihre Freundschaften mit Gleichaltrigen könnten sie auf Augenhöhe, selbstverantwortlich und durch eigenes Handeln beeinflussen.

Einfluss von Medien auf die Sprache


Verändert habe sich in den vergangenen 100 Jahren die Sprache. Deutlich erkennbar sei der Einfluss von Filmen, erklärt der Wissenschaftler. So würden heute deutlich mehr Rededuelle geschrieben, oft fehle die Stimme eines Erzählers.

Befürchtungen allerdings, dass die starke Mediensozialisation zu einem Sprachverfall führen könnte, hat Ritter nicht. Vielmehr würden die Kinder heute die Sprache „sehr souverän und kreativ verwenden“. Und manchmal sind die Schilderungen auch ganz knapp. So besteht die „Kurzgeschichte“ von Elmo (12) nur aus acht Wörtern: „Eines Tages aß sich das Nudelpferd selbst auf.“

Mehr zum Archiv unter: tinyurl.com/Kindertexte

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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