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Zugeflogene Ideen

Ein Interview über das, was eine gute Predigt ausmacht, mit Propst im Ruhestand Karl-Heinrich Lütcke. Er gab eine Auswahl seiner Predigten in diesem Jahr als Buch heraus

Wortgewaltiges Vorbild: der Evangelist Matthäus. Foto: Robert Cheaib/CC0

Herr Lütcke, Sie haben in Ihrem Predigtband „Raum und Zeit von Gott gewährt“ eigene Predigten zu verschiedenen Anlässen ausgewählt: zum Thema Zeit, zum Kirchenjahr, zu den Psalmen, zu Christus, zu Diakonie und Medizin. Wie sind Sie beim Auswählen vorgegangen und was­ ­wollen Sie vermitteln?

Das Kirchenjahr ist sehr gut geeignet, um in den christ­lichen Glauben einzuführen. Man kann anhand des Kirchenjahres eine Dogmatik schreiben, und man kann anhand des Kirchenjahres menschliche Erfahrungen mit biblischen Texten deuten. Das gleiche gilt für Predigten über Psalmen, weil in den biblischen Psalmen menschliche Erfahrungen im Licht des Glaubens Israels gedeutet und vor Gott gebracht werden. Die Themen Krankheit und Diakonie haben mich beschäftigt, als ich im Ruhestand zehn Jahre lang den Aufsichtsrat einer ­großen diakonischen Institution geleitet habe. Das hat mir auch neue geistliche Einsichten ­geschenkt.

Sie verwenden viele lebensnahe Beispiele in Ihren Predigten. Muss eine Predigt nah an der Lebenswelt der Zuhörenden sein oder nah am Bibeltext?

Nah an der Lebenswelt und nah am Bibeltext – das gehört für mich zusammen. In der Bibel finden sich so viele wunderbare Worte und ­Geschichten, die den Lebensalltag erhellen und die trösten und ermutigen. Viele Themen haben sich aus dem Nachdenken über den Bibeltext ergeben. Ich habe immer schon frühzeitig den Bibeltext angeschaut, über den ich zu predigen hatte, und ihn in meinen Alltag mitgenommen. Manchmal habe ich bei Predigten aus besonderen Anlässen oder bei Rundfunkandachten aber auch zuerst über ein Thema nachgedacht, und dann sind mir die Bibeltexte zugeflogen. Ja, auch die Ideen für eine Predigt sind mir, so habe ich es ­erfahren, oft ganz plötzlich zugeflogen. Solche zugeflogenen Einfälle bringe ich für mich mit dem Heiligen Geist zusammen. 

In einer Predigt zum Gedenktag an die Befreiung von Auschwitz sprechen Sie die Mitschuld der Christen am ­Holocaust an. Sind Predigten für Sie auch ein selbst­kritischer Spiegel?

Ganz gewiss. Die Buße gehört nicht nur in die Liturgie. Die biblischen Texte kennen auch die Sprache der Ermahnung. Selbstkritik gilt auch für mich als den Prediger. Jesu Worte über das Richten sind mir da wichtig. „Denn wie ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden“ (Matthäus 7,1).

Gilt in der theologischen Ausbildung den anti­jüdischen ­Stereotypen in Predigten genügend Aufmerksamkeit?

In den Jahren, in denen ich die Ausbildung der Pfarrerinnen und Pfarrer nah erlebt habe, haben der Neutestamentler ­Professor Peter von der Osten-Sacken und in der ­Vikarsausbildung Pfarrer Gerhard Bauer viel zu solcher Aufmerksamkeit beigetragen. Aber man kann auf diesem Gebiet immer noch dazu­lernen. Mir hat übrigens schon 1959 in ­meinem ersten Semester ein Assistent an den Rand meiner Proseminararbeit ­geschrieben: „Das gibt es auch im Judentum!“ Ich hatte kühn meine durch den Konfirmanden- und Religionsunterricht ­geprägten Gedanken vorgetragen und gegen das ­Judentum ­abgegrenzt.

Wie verstehen Sie den Auftrag, das Evangelium zu ­predigen? Worum geht es?

Es geht darum, in der Auslegung biblischer Texte die Botschaft von der Liebe Gottes so weiterzugeben, dass die Hörerinnen und Hörer sie verstehen und dass deutlich wird, was biblische  Kernworte wie Gnade, Sündenvergebung, Rechtfertigung und Hoffnung für den Alltag eines Christenlebens bedeuten. Der Glaube wird durch die Erfahrungen des ­Alltags immer wieder angefochten, gute Vorsätze scheitern, Zweifel kommen auf. Da haben Gottesdienst und Predigt die Aufgabe, der Gemeinde Orientierung zu geben und sie mit neuem Mut in die kommende Woche zu senden. Ich weiß, das ist ein hoher Anspruch, hinter dem ich auch selbst oft zurückbleibe.

Stolperfalle „Kirchensprech“ – dürfen Metaphern wie „Sauerteig“ oder „Strahlkraft“ noch benutzt werden? Wie wichtig ist Ihnen die gewählte Sprache in der Predigt?

„Kirchensprech“ und Phrasen sind immer eine Gefahr für jeden Prediger und jede Predigerin. Auf zentrale Worte aus der Bibel möchte ich nicht verzichten, aber ich möchte durch ­Erklärung und ­Alltagsbeispiele helfen, sie zu verstehen. Die Sprache der Predigt soll klar und verständlich sein und nicht eintönig. Nur Informationen und ­Behauptungssätze aneinander zu reihen, wirkt schnell langweilig. Erzählerische Elemente, Dialoge und die direkte Anrede an die Gemeinde können dazu gehören. 

Was macht eine gute Predigt für Sie aus?

„Das war eine gute Predigt“ kann ich zu ganz verschiedenen Predigten sagen. Entscheidend ist, dass die ­Hörerinnen und Hörer sich angesprochen fühlen und einen Anstoß bekommen für ihr Leben, für ihren Glauben, für ihr eigenes Nachdenken. 

Wie politisch darf eine Predigt sein?

Der Alltag der Menschen wird auch durch die Politik ­bestimmt, und wenn die Bibel über den Frieden oder über die Armen redet, dann kann man die Politik nicht aus der Predigt ausschließen. Aber gerade für den Protestantismus gilt: Wir sehen die Hörerinnen und Hörer als mündige Christenmenschen und sollen nicht agitieren, sondern zum Nachdenken und Handeln anregen. Wichtig ist mir auch der Respekt vor der Politik, die verantwortliche Entscheidungen in einer oft sehr komplexen Gemengelage fällen muss.

Hand aufs Herz, sind Ihnen schon mal bei einer Predigt die Augen­lider schwer geworden?

Nein, eingeschlafen bin ich nie. Aber es gab schon Predigten, die mir langweilig vorkamen und bei denen meine Gedanken abgeschweift sind. Manchmal ist es auch bei solchen ­Predigten ein Satz, der mich vom weiteren Gang der Predigt ablenkt, aber zum Nachdenken (und vielleicht sogar zu neuen Einsichten) bringt. Und das ist dann doch auch ein Erfolg einer Predigt. Als Prediger weiß ich, wie schwer es ist, eine Predigt zu entwerfen, und immer ist bei mir vor dem Gottesdienst die Frage: Werde ich die Gemeinde erreichen? Daher bin ich milde in der Kritik an Predigten anderer.

Welche Rolle spielt das Gesamtauftreten des Predigenden, die Mimik, Gestik und Präsenz für Sie?

Mimik und Gestik können hilfreich sein, aber man sollte es nicht übertreiben. Die Präsenz, die den ­inneren Kontakt mit der Gemeinde herstellt, ist sehr wichtig.

Worin sehen Sie Chancen, wenn sich Predigten durch den digitalen Wandel verändern?

Das wird ein Thema der nächsten Generation sein. Ich habe häufiger Rundfunkandachten gehalten; ­einige sind auch in dem Buch abgedruckt. Und diese besondere Aufgabe, Hörerinnen und Hörer anzusprechen, die sehr verschieden sind und die man nicht sieht, ist eine besondere Herausforderung. Ich habe durch diese Aufgabe viel gelernt, auch durch den Druck, sich an Minutenvorgaben zu halten. Man lernt dann, wie viel man in drei Minuten sagen kann – wenn man sich gut ­vorbereitet. Die Predigerinnen und Prediger, die in den Sozialen Netzen über den christlichen Glauben sprechen, sind sicher noch ganz anders herausgefordert, und sie erhalten mehr Feedback. Die Erfahrungen, die sie da machen, sind wichtig.

Die Fragen stellte Sibylle Sterzik. 

Zum Weiterlesen: Karl-Heinrich Lütcke, Raum und Zeit – von Gott gewährt. Predigten und andere Texte. epubli 2021, 16,99 Euro. 

Im Buchhandel und beim Verlag unter www.epubli.de erhältlich.

Karl-Heinrich Lütcke (* 20. Februar 1940 in Schleswig) hat klassische Philologie und Evangelische Theologie studiert. Er war von 1990 bis 2005 als Propst Theologischer Leiter im Konsistorium der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-­schlesische Oberlausitz.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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