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Zusammen ist man weniger arm

Ein Mittagstisch der Berliner Stadtmission trotzt den materiellen Sorgen und pflegt die Gemeinschaft

Mittagstisch in Ruhe und mit goldfarbenem Kreuz im Hintergrund. Foto: Katharina Körting

Von Katharina Körting

Die Preise steigen, alle müssen ­sparen, der Winter steht vor der Tür. Doch ein krasserer Kontrast zwischen der Alarmstimmung in den Medien und der Stimmung in der Gemeinde Frankfurter Allee der ­Berliner Stadtmission ist kaum vorstellbar. Auf der Straße ist es laut, aber in der schlichten, ins Haus ­integrierten Kirche, zweiter Hinterhof, wartet Ruhe. Ein goldfarbenes Kreuz, ein Altar, davor Kürbisse, wegen Erntedank, eine Orgel. Heute ist hier kein Gottesdienst, jedenfalls keiner mit Predigt. Heute gibt es „Mittag im Hof“, seit dem ersten Lockdown eine Bastion gegen die Einsamkeit. Jeden Mittwoch ver­sammeln sich Menschen an einem großen Tisch, ­zusammengeschoben aus vielen kleinen, und bilden eine Gemeinschaft. 

Sie genießen die Gespräche


Rote Servietten und Besteck liegen bereit, es duftet nach haus­gemachter Tomatensuppe, gekocht von einer 93-Jährigen, die das Essen mit dem Rollator selbst vorbeibringt, wie Pfarrerin Susann Friedl erzählt. Vor dem Essen wird gebetet. Jost ­Berchner, ­ehrenamtlicher Helfer und ­Lektor, kümmert sich um alles. Sein vor ­kurzem getaufter 16-jähriger Sohn Ruben geht ihm zur Hand, schleppt den schweren Topf aus der Küche ­herein. Auch andere helfen – von außen lässt sich kaum unterscheiden, wer Gast und wer Gastgeber ist. 

Die hier sind, kommen nicht nur wegen des Essens, sondern vor allem, um sich zu unterhalten. „Das ist für mich sehr, sehr wichtig“, sagt Gerhard Hübsch. Er ist 73 Jahre alt – in seiner schwarzen Kunstlederjacke sieht er viel jünger aus.  In seinen Augen liegt ein Lächeln, und bereitwillig erzählt er: Er habe früher als Gas-Wasser-Installateur gearbeitet, dann sei er in Rente ­gegangen, verlor noch vor ­Corona seine Wohnung. Eine Weile fand er Unterschlupf „in der Traglufthalle, weil ich nicht auf der Straße bleiben wollte“. Er meint die Notübernachtung „Containerbahnhof“ ganz in der Nähe. 

Mittlerweile ist er am Stadtrand in einem Heim für Wohnungslose untergebracht, aber zuhause fühlt er sich offenbar in der Gemeinde in Friedrichshain. „Ich arbeite hier auch ehrenamtlich“, sagt Hübsch. ­Eigentlich sollte nun das Gespräch auf das Thema Armut zusteuern, weil doch am 17. Oktober der Internationale Tag für die Beseitigung von Armut ist. Rund 17 Prozent der Menschen in Deutschland leben in Armut, fast 14 Millionen müssten laut dem Paritätischen Armuts­bericht 2022 zu den Armen gerechnet werden – 600000 mehr als vor der Pandemie. Und das sind nur die Zahlen vom vergangenem Jahr. 

Aber auch in der Gemeinde Frankfurter Allee sind das nur Zahlen – arm ist hier keiner. Arm sind immer die anderen. Gerhard Hübsch, der ein Leben lang gearbeitet hat und nun keine bezahlbare Bleibe findet, betrachtet sich nicht als arm. „Es reicht hinten und vorne nicht mit der Rente“, sagt er zwar, aber arm sei etwas Anderes, zum Beispiel, „wenn einer keine 500 Euro mehr hat, oder wenn er hungert“. Das sei bei ihm nicht der Fall, er sei aus gutem Elternhaus und es liege ihm auch nicht, sich zu beklagen: „Ich komme klar.“

Keine Kneipe, kein Kino


Es sei nicht so sehr das Essen, das ihn herführt, sondern die Gespräche, der soziale Kontakt. Hübsch hat keine Kinder. Alles Geld, das er ­erübrigen kann, schickt er der Frau, die er heiraten will. Sie lebt auf den Philippinen. Er wäre längst bei ihr, hatte schon den Flug bezahlt, doch er durfte nicht, weil ihm das Rückflugticket fehlte. In die Kneipe geht er nicht mehr, „ins Kino generell nicht“, sparsam gelebt habe er schon immer. Von der Politik wünscht er sich, „dass sie mal was fürs Volk ­machen“, bezahlbare ­Wohnungen zum Beispiel. 

Die Wohnung ist für die 56-jährige Noa Backes, eine Transfrau, kein Problem, auch steigende Energie­kosten schrecken sie nicht – „die Heizkosten übernimmt das Amt“. Ihre Erwerbsunfähigkeitsrente stockt sie mit Sozialhilfe auf. Noa Backes hat eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht, dann Sozial­wissenschaften studiert. Vor drei Jahren hat er sich geoutet. Auch sie würde sich nicht als arm ­bezeichnen, obwohl sie regelmäßig zur Tafel geht. Es gebe dort jetzt ­weniger, wegen der ukrainischen ­Geflüchteten, erzählt sie ohne Groll – man müsse dann halt teilen. 

Jost Berchner erzählt, dass die Wahrnehmung durchaus sei: „Da kommen Leute, die sind gerade neu im System, und kriegen gefühlt eine ganze Menge geschenkt“ – und die alteingesessenen Armen in den Wohnungsloseneinrichtungen fühlen sich benachteiligt. „Hilfsbereitschaft fließt ab“, stellt Berchner fest, „und die Spendenbereitschaft sinkt“. Das betreffe auch den Mittagstisch an der Frankfurter Allee. 

Gemeinsam etwas machen


Die Gemeinde müsse sparen: „Die Spenden werden nicht reichen, das wissen wir“, sagt Berchner, doch er habe Gottvertrauen. „Und wir überlegen, aus der Not eine Tugend zu machen.“ Wie genau, sei noch nicht klar, jedenfalls sei eine Art Wärmestube in Vorbereitung, „nicht nur für diejenigen, die schon geübt sind in Armut, sondern auch für diejenigen zwischen Mittelstand und Straße.“ Um Kaffee zu trinken, sich aufzuwärmen und gemeinsam etwas zu machen – für die, die noch weniger haben. Weil: Zusammen unter Gottes Dach ist man nicht nur weniger allein, sondern auch weniger arm.

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1. Recht auf teilhabe von Christina -Maria Bammel, Wv. Wochenzeitung :die Kirche,Nr.16, vom 14,04.2024 Wolfgang Banse Worten müssen Taten folgen
Teilhabe hin, Teilhabe her, Inklusion, Rerhabilitation wird nicht gelebt , was Menschen mit einem Handicap in Deutschland, im weltlichen, wie auch im kirchlichen Bereich betzrifft. so auch was die Gliedkirche EKBO betrifft.Integration m und Inklusion sieht anders aus, was was im Alltag erleb, erfahrbar wird.Nicht nur der Staat, s ondern auch die Kirche, die Kirchen dind w eit n fern vom Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes. "Niemand darf auf Grund...benachteiligt werden!:Homosexualität, Lesbilität wird chauffiert, Handicap nicht. Hier wird der Gleichheitsgrundsatz verworfen. Ouo vadis EKBO, wes Menschen mit einem Handicap betrifft.
2. Offen sein - für alle Menschen Gert Flessing Ja, eine Kirche, die auch für die Menschen weit offen ist. Ich glaube, dass wir das brachen. Die Idee der Forster Pfarrer ist gut. Natürlich gehört dazu, das man selbst auch bereit sein, sich für alle zu öffnen. Das Gespräch mit dem frustrierten Menschen, der AfD wählt, zeigt, wie nötig es ist - auch wenn man jemanden nicht überzeugen kann.
Die Flüchtlingspolitik polarisiert natürlich und - die Ängste der Menschen sind da. Dass sie gerade in der Nähe der polnischen Grenze besonders hoch sind, verstehe ich. Grenzregionen sind immer sensibel. Aber so wenig, wie wir die Migranten verteufeln dürfen, sollten wir sie zu sehr positiv betrachten. Sie sind Menschen und Menschen sind nicht per se gut. Jeder von uns weiß ja, das jemand, der neu in den Ort kommt, egal woher er ist, skeptisch betrachtet wird.
Schon von daher ist das offene Gespräch, das niemanden außen vor lässt, wichtig.
Ich habe es, zu meiner Zeit im Amt, immer wieder geführt. Auch in der Kneipe, wenn es sich anbot. Aber auch wir haben, als eine Flüchtlingsunterkunft in unserem Ort eröffnet wurde, die Kirche für eine große Bürgersprechstunde geöffnet, die sich, in jeder Hinsicht, bezahlt gemacht hat.
Bei alle dem dürfen wir nie vergessen, das wir Kirche sind und nicht Partei. Dann werden wir auch das für diese Arbeit notwendige Vertrauen bei allen Seiten finden.
3. Kontroverse über Potsdams Garnisionskirche hält an Wolfgang Banse Kein Platz für alle
Nicht jede, nicht jeder kam die Ehre zu Teil am Festgottesdienst am Ostermontag 2024 teil zu nehmen , mit zu feiern.Standesgesellschaft und Standesdünkel wurde hier, sonst auch was in kirchlichen Reihen praktiziert wird.Ausgrenzung, Stigmatisierung,Diskriminierung.Gotteshäuser sind für alle da. Hier sollte es keine Einladungskarten geben, gleich um welche Veranstaltung es sich handelt. Verärgerung trat auf bei Menschen, die keinen Zugang zur Nagelkreuzkapelle hatten.Aber nicht nur verärgerte Menschen gab es an diesem Ostermontag vor der Nagelkreuzkapelle, sondern auch Demonstration , von anders Denkenden, die eine Inbetriebnahme der Nagelkreuzkapelle befürworten.Ein großes Polizeigebot war zu gegen, um die Geladenen zu schützen.Was hat der Einsatz des Sicherheitskräfte, der Polizei dem Steuerzahler gekostet.Ein Gotteshaus wie die Nagelkreuzkapelle in Potsdam soll ein Ort des Gebetes, der Stille, Andacht sein.Garnison hört sich militärisch an-dies sollte es aber nicht sein.Die Stadtgesellschaft in Potsdam ist gespalten, nicht nur was die Nagelkreuzkapelle betrifft.Möge das Gotteshaus ein Ort des Segens sein.Offen und willkommen für Klein und Groß, Jung und Alt.

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